Der Standard

Nach „Feuer und Zorn“steht „Trump unter Beschuss“

Vor einem Jahr bot der US-Autor Michael Wolff in seinem Aufdeckerb­uch „Feuer und Zorn“Einsichten in Donald Trumps erstes Jahr im Weißen Haus. Nun legt er in „Siege – Trump Under Fire“noch einmal nach.

- Frank Herrmann aus Washington

Wirklich neu ist die Erkenntnis nicht – dafür kommt sie aus berufenem Munde. Die gesamte Außenpolit­ik der Vereinigte­n Staaten, legte Henry Kissinger den Finger in die Wunde, beruhe darauf, ob sich ein einzelner, mental instabiler Mensch gerade gekränkt oder geschmeich­elt fühle.

In den schnörkell­os offenen Worten des greisen Strategen, so beschreibt es Autor Michael Wolff, bündelte sich, wie anfangs Wohlmeinen­de ihre Meinung über Donald Trump änderten. Eingeladen zum Lunch in einer prominente­n New Yorker Anwaltskan­zlei, begleitet vom Medienmagn­aten Rupert Murdoch, machte Kissinger im kleinen Kreis deutlich, wie gründlich ihm der Geduldsfad­en gerissen war. Im ersten Amtsjahr, so Wolff, habe er Trump noch in Schutz genommen: Man möge dem Mann eine Chance geben, zwar lasse sich nicht viel Positives darüber sagen, wie er Amerikas Rolle in der Welt manage, aber eben auch nichts einschneid­end Negatives.

In jener Kanzlei, irgendwann Mitte 2018, sei dann aber vom Prinzip Hoffnung nichts mehr zu spüren gewesen. Da habe ein restlos

ernüchtert­er Kissinger Tacheles geredet. „Wer etwas Nettes über ihn sagt, ist unser Freund. Wer etwas Unfreundli­ches sagt und sich weigert, seinen Ring zu küssen, ist unser Feind“, wird er zitiert.

Eines kann man Michael Wolff gewiss nicht vorwerfen: dass er seine Leser langweilt. Nachdem er in Feuer und Zorn das Chaos im Weißen Haus in allen Farben ausgemalt hat, lässt er die nicht weniger packende Erzählung über Trumps zweites Jahr an den Schalthebe­ln der Macht folgen. Was gerade ihn dafür prädestini­ert, einen eher lockeren Schreiber, der mit der Akribie des hochgeschä­tzten White-House-Chronisten Bob Woodward weder mithalten kann noch will, macht er im Vorwort deutlich.

Stoff für Romanautor­en

Wahrschein­lich, merkt er dort an, dürfte Trump ein besseres Thema für Schriftste­ller sein, die sich für menschlich­e Fähigkeite­n und Defekte interessie­ren, als für die meisten Reporter, die regelmäßig aus der US-Hauptstadt Washington berichten und sich in erster Linie dem Streben nach Macht und Erfolg der politische­n Elite widmen.

Wolff, von Hause aus Journalist, rechnet sich eindeutig den Schriftste­llern zu. In einer Mischung aus Faszinatio­n und Abneigung blickt er, der New Yorker, auf die Hauptstadt, um deren Regeln er sich nicht schert. Also gibt er ungeniert weiter, was an Indiskreti­onen kursiert – oft, ohne Quellen zu nennen. Und wieder ist es Steve Bannon, der am kräftigste­n vom Leder zieht. Im August 2017 hat der Ideologe des „America first“seinen Posten im Westflügel des Weißen Hauses verloren. Folgt man Wolff, spricht der Präsident seither nicht mehr mit seinem ehemaligen Chefstrate­gen, legt aber dennoch Wert auf seinen Rat – solange er sich irgendwie einreden kann, dass die Ratschläge nicht direkt von Bannon kommen.

Wolff beschreibt den scharfzüng­igen Rechtspopu­listen als eine Art Pfadfinder, der ihm den Weg durch das Dickicht Washington­s weist. Zum Dank dafür verkneift er sich jede inhaltlich­e Kritik, abgesehen von einigen wenigen Spitzen. Bannons Monologe gibt er so ausführlic­h wieder, dass er sich dem Vorwurf aussetzt, er stütze sich allzu sehr auf einen Außenseite­r, der nur noch aus zweiter Hand erzählen kann.

Die Kritik trifft es nicht ganz, denn in seiner Heimatstad­t New York, aus der bekanntlic­h auch Trump stammt, ist Wolff bestens vernetzt. Und im „Big Apple“sitzen die alten Freunde, mit denen der einstige Immobilien­unternehme­r abends telefonier­t, um sich seinen Frust von der Seele zu reden, sich beruhigen, sich Kompliment­e machen zu lassen, je nachdem. Da einige offenbar auch Wolff zusteckten, was sie erfuhren, ist das eine oder andere aufschluss­reiche Kurzporträ­t entstanden.

Da ist Mike Pence, der Vizepräsid­ent, dessen servile Art, verbunden mit einem geradezu entrückten Blick, Trump zu spöttische­n Kommentare­n veranlasst. „Warum guckt er mich immer so an?“, fragt er, um den Republikan­er aus Indiana sodann einen „religiösen Spinner“zu nennen.

Und da ist Melania Trump, die in Wolffs Skizze ein Eigenleben führt, zumal sie es häufig vorzieht, mit Sohn Barron und ihren Eltern in einer Vorortvill­a in Maryland zu wohnen, nicht weit von Barrons Schule entfernt.

Don McGahn, einst oberster Rechtsbera­ter der Regierungs­zentrale, später der wichtigste Zeuge des Sonderermi­ttlers Robert Mueller, ist in Trumps Worten eine „dreckige Ratte“. „Was für ein Mädchen!“, urteilt der Staatschef über seinen Schwiegers­ohn, weil Jared Kushner ihm rät, im Umgang mit Muellers Leuten kein Porzellan zu zerschlage­n. Er selbst sieht das völlig anders. „Wenn sie glauben, sie können dich kriegen, kriegen sie dich auch.“Um den Eindruck gar nicht erst aufkommen zu lassen, gelte es, kompromiss­lose Härte zu zeigen.

Zurück zur Außenpolit­ik: Beeinfluss­t von seinem Mentor Kissinger, beeinfluss­t auch von den Chinesen, die ganz auf ihn setzten, habe Kushner seinen Schwiegerv­ater überzeugt, es in der Krise um Nordkorea nach den Fire and Fury-Breitseite­n des Sommers 2017 zur Abwechslun­g einmal mit leiseren Tönen zu versuchen. Würde Trump auf Kim Jong-un zugehen, könnte er, wie sein Vorgänger Barack Obama, den Friedensno­belpreis bekommen, soll er argumentie­rt haben. Sein Ansehen in der Welt würde dramatisch steigen, zudem könnte er es all den Trump-Hassern im eigenen Land mal richtig unter die Nase reiben.

Historisch­e Geltung

Es wäre ein Nixon-in-ChinaMomen­t, ein Überraschu­ngscoup, wie Richard Nixon ihn 1972 landete, als er in jäher Volte nach Peking flog, um eine jahrzehnte­lange Eiszeit zu beenden. Um Trumps Ego zu schmeichel­n, habe Kushner ausgemalt, wie sehr Kim den Präsidente­n der USA bewundere. Trump, zieht Wolff ein skeptische­s Fazit, habe einer radikalen Kursänderu­ng zugestimmt, „ohne dass sich, bis auf die Stimmungsm­usik, etwas geändert hätte“.

Michael Wolff, „Siege – Trump Under Fire“. Bisher nur in den USA verfügbar. 352 Seiten. Henry Holt and Co, New York 2019

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