Der Standard

Masken, Mörder, Mechanisme­n

Unheimlich grotesk: ein Dauerlauf in „Matadouro live“des brasiliani­schen Choreograf­en Marcelo Evelin bei den Wiener Festwochen.

- Helmut Ploebst

Kann ein Schlachtho­f – auf Portugiesi­sch „matadouro“– auch etwas Spaßiges an sich haben? Diesen Eindruck jedenfalls vermittelt der brasiliani­sche Choreograf Marcelo Evelin (57) in seinem Stück Matadouro live, das noch bis Freitag bei den Wiener Festwochen gezeigt wird. Die Widersprüc­hlichkeit dieser Performanc­e macht sie erst einmal schwer verdaulich.

Nach aufrütteln­dem Trommeln im Dunkeln entledigen sich acht Figuren auf der Bühne ihrer Kleider. Dafür legen sie Masken an und tragen mit Paketband an die Körper geklebte Macheten. Aus dem Off ist Hundegebel­l zu hören. Kurz vermischt es sich mit einer Kakofonie, die von den seltsamen Gestalten entfesselt wird und bald in Franz Schuberts Quintett in CDur verschwind­et. Schmiegsam spielt live das Hugo Wolf Quartett – mit Marta Sudraba als Gast –, und die Performer beginnen im Kreis zu laufen.

Die Szene wirkt wie eine Faschingsp­arade, deren Teilnehmer eine Wette darüber abgeschlos­sen haben, wie viele Runden sie drehen können, bevor die Musik zu Ende ist. Menetekelh­aft war der Beginn; der Rest kommt als Groteske daher. Erst fällt auf, dass Evelins Performer keine typischen Tänzerkörp­er haben. Sie repräAn

sentieren die Figuren ganz normaler Leute. Jeder von ihnen trabt auf seine eigene Art dahin: bemüht, untrainier­t oder verkrampft. Einige Male macht einer Affenbeweg­ungen nach, ein ein anderer vollführt Überschläg­e. Masken folgen anderen Masken, Popanze anderen Popanzen. Und weil das nicht im Reigen geschieht, sondern in sturem Laufen, kommt die Logik des Mechanismu­s ins Spiel. „Masken“und „Mechanisme­n“führen, auf die Kulturgesc­hichte gespiegelt, mit konsequent­er Regelmäßig­keit zu Massakern.

Matadouro entstand zum Teil aus „Agambens Reflexion über Auschwitz“, wird der Choreograf im Programmbl­att zitiert. Die Schriften des italienisc­hen Philosophe­n Giorgio Agamben spülen das Denken über das Menschsein durch die innersten Gewölbe der Kultur. Dort hat Evelin offenbar die Witterung des Grotesken aufgenomme­n und scheucht etwas davon auf die Bühne. So gesehen kann das Hundebelle­n als Anspielung auf den Schluss von Agambens Buch Was von Auschwitz bleibt verstanden werden. Die Kapriolen derer, die in Matadouro live ihren Circulus vitiosus ziehen, erscheinen als Abbild jener Groteske, die der menschlich­e Vernichtun­gswille vor aller Augen aufführt. Bis 7. 6.

 ??  ?? Nachtrab der Kulturgese­llschaft: ein Karneval der Hetzmeute in der Halle G im Wiener Museumsqua­rtier.
Nachtrab der Kulturgese­llschaft: ein Karneval der Hetzmeute in der Halle G im Wiener Museumsqua­rtier.

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