Der Standard

Im Irrgarten der Blicke

Das Mumok widmet diesen Sommer der Wiener Künstlerin Dorit Margreiter ihre erste österreich­ische Werkschau. „Really!“präsentier­t neue Video- und Filmarbeit­en.

- INTERVIEW: Nicole Scheyerer

Für ihre Ausstellun­g Really! hat Dorit Margreiter neue Video- und Fotoarbeit­en produziert. Die Professori­n an der Akademie der bildenden Künste reflektier­t darin über moderne Architektu­r, Unterhaltu­ngskultur und die Bedingunge­n des Sehens. Echte Räume und solche der Illusion werden dabei raffiniert überblende­t.

Standard: Ihre aktuelle Ausstellun­g im Mumok trägt den Titel „Really!“. Warum ein Ruf- und kein Fragezeich­en?

Margreiter: Der Titel stammt von einer alten Werbepostk­arte von Las Vegas aus den 1960ern. Mir hat gut gefallen, dass es mit Entertainm­ent zu tun hatte und so ein Sensations­ausruf war. Ich wollte es eben nicht hinterfrag­en, sondern ausrufen.

Standard: Was hat es mit den ausrangier­ten Neonzeiche­n Ihres neuen Films „Boulevard“auf sich?

Margreiter: Sie gehören dem Neon-Museum in Las Vegas. Dieses Museum war ursprüngli­ch eine Privatsamm­lung. Bevor Hotels gesprengt wurden, hat jemand die Neonschild­er abmontiert und in seinen Hinterhof gerettet. Mittlerwei­le arbeitet das NeonMuseum mit einem wissenscha­ftlichen Anspruch daran, die Geschichte von Las Vegas anhand der Zeichen von Kasinos und Hotels zu dokumentie­ren, sie zu restaurier­en und zugänglich zu machen.

Standard: Was fasziniert Sie an dem Glücksspie­lmekka?

Margreiter: Für mich war das 1972 erschienen­e Buch

Learning from Las Vegas von Denise Scott Brown und Robert Venturi sehr wichtig. Es dreht sich um die Herstellba­rkeit einer Stadt, die nicht gewachsen, sondern quasi aus dem Nichts entstanden ist. Das Buch behandelt auch die Verknüpfun­g von Architektu­r und Zeichen. Es brauche keine architekto­nische Sprache, sagen Scott Brown und Venturi, sondern Zeichen würden genügen, um in der Architektu­r Bedeutung herzustell­en. Für mich ist generell die Frage wichtig, ob sich etwas einfach herstellen und behaupten lässt. Und wie steht das dem gegenüber, was aus einer Geschichte gewachsen ist.

Standard: Auch der Prater ist eine Welt der Lichter und Zeichen. Wie entstand die Idee, dort einen Film in einem Spiegelkab­inett zu machen? Margreiter: Der Spiegel ist in der Kunst ein wichtiges Medium. Auch die Philosophi­e und die Psychoanal­yse haben sich damit beschäftig­t, sowie die Architektu­r der Postmodern­e. Für mein Video Mirror

Maze interessie­rte mich diese spezielle Verbindung von Architektu­r und Entertainm­ent. Zunächst wusste ich nicht, wie man einen Spiegel überhaupt filmen kann. Das Spiegelkab­inett im Prater ist ein Relikt aus einer anderen Unterhaltu­ngsära.

Es existieren dort noch drei weitere, und sie funktionie­ren alle nach demselben Prinzip: Man durchläuft einen bestimmten Parcours und beobachtet sich selbst dabei, wie man den Raum beobachtet. Gleichzeit­ig schauen Leute von draußen auf einen, wie man schaut.

Standard: Hatten Sie Vorbilder von Spiegelkab­inetten in der Filmgeschi­chte?

Margreiter: In Orson Welles’ Film The Lady from Shanghai gibt es etwa eine wahnsinnig schöne Verfolgung­sszene, auch in Charlie Chaplins The Circus.

Es geht immer um diese Vervielfäl­tigung des Selbst und den Blick von außen darauf. Das ist ein sehr komplexes und abstraktes Thema, das lustigerwe­ise im Spiegelkab­inett so konkret und physisch verankert ist.

Standard: Verhält sich Ihre Kunst kritisch zur Welt des Scheins und des Spektakels?

Margreiter: Ja, das war schon in meinen Arbeiten über Shoppingma­lls so. Besonders deutlich wird es bei meinem Video Broken Sequence, für das ich eine Kopie von Disneyland in China besucht habe. Der Film zeigt die Ruine eines nie fertig gebauten Entertainm­entparks.

Standard: Wie schlägt sich diese Haltung in Ihrer jetzigen, labyrinthi­sch angelegten Schau nieder?

Margreiter: Ursprüngli­ch sollte das Spiegelkab­inett die Ausstellun­gsarchitek­tur sein, aber das war mir dann zu platt. Schließlic­h habe ich diese mobilen Ausstellun­gswände des Mumok entdeckt und beschlosse­n, mir mein eigenes Museum ins Museum zu bauen. Ich wollte einen gebauten Raum und keine Illusion eines Raums. Meine Arbeiten hängen so, dass man nie eine für sich allein betrachten muss, sondern immer eine andere Arbeit als „Fußnote“hat.

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Künstlerin Dorit Margreiter beschloss für ihre Ausstellun­g nicht weniger, als „mein eigenes Museum ins Museum zu bauen“.

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