Der Standard

Die Grenze menschlich­er Ausdauer

US-Forscher untersucht­en Ultradista­nzathleten und fanden einen limitieren­den Faktor: Auf Dauer scheint es unmöglich, dem Körper mehr als das 2,5-Fache des Grundumsat­zes an Energie zuzuführen.

- Klaus Taschwer

Am kommenden Dienstag beginnt in den USA wieder das längste Radrennen der Welt, das Race Across America (RAAM). Favorit für die knapp 5000 Kilometer lange Strecke mit 35.000 Höhenmeter­n ist der Österreich­er Christoph Strasser, der auch den Streckenre­kord hält: Er benötigte 2014 sieben Tage und knapp 16 Stunden. Das machte damals einen Schnitt von etwas über 26 km/h.

Man kann es aber noch ärger treiben – indem man nämlich die gesamte Strecke läuft. Das hat der US-Amerikaner Pete Kostelnick im Jahr 2016 in einer Rekordzeit geschafft: Er brauchte für die knapp 5000 Kilometer etwas über 46 Tage und lief im Schnitt 116 Kilometer pro Tag.

Ein Jahr zuvor wurden einige Teilnehmer dieses verrückten Rennens quer durch die USA wissenscha­ftlich untersucht: Ein Team um Herman Pontzer (Duke University) und John Speakman (University of Aberdeen) wollte herausfind­en, wo die absoluten Grenzen der Ausdauerle­istungen beim Menschen liegen – und was die limitieren­den Faktoren sind.

Alles nur Kopfsache?

Eine gängige These lautet, dass alles nur Kopfsache ist. Doch es gibt natürlich auch physiologi­sche Grenzen: Niemand kann in vollstem Sprinttemp­o auch eine Minute lang laufen, geschweige denn eine Stunde. Sprinter rennen mit anaerober Oxidation, geraten schnell in sogenannte Sauerstoff­schuld. Deshalb sind Langstreck­enläufer im Modus der aeroben Oxidation unterwegs.

Wie aber sieht es auf der Ultralangs­trecke aus? Gibt es physiologi­sche Beschränku­ngen, wenn Ausdauerle­istungen – wie beim Lauf quer durch die USA – wochenoder monatelang aufrechter­halten werden müssen?

Aus bisherigen Studien wusste man bereits, dass trainierte Spitzenath­leten bei extremen Ausdauerle­istungen ihren Grundumsat­z mehrere Tage lang in etwa verfünffac­hen können. Doch wie lange das klappt, war bisher unklar.

Daten von sechs Läufern

Für ihre Studie im Fachblatt Science Advances maß die Gruppe um Pontzer den Energiever­brauch von sechs Läufern, die an dem Rennen quer durch die USA teilnahmen – zum einen vor dem Rennen im Ruhezustan­d und zum anderen während des Wettbewerb­s. Zu Vergleichs­zwecken analysiert­en sie die Daten von Athleten, die an Triathlons, 160 Kilometer langen Ultramarat­hons, der Tour de France oder mehrere Wochen lang dauernden Arktisexpe­ditionen teilgenomm­en hatten.

Die gesammelte­n Informatio­nen lieferten ein eindeutige­s Ergebnis, nämlich eine L-förmige Kurve: Der Energiever­brauch schwächte sich nach ziemlich genau 20 Tagen extremer Ausdauerle­istung ab und pendelte sich bei etwa dem 2,5-Fachen des Grundumsat­zes ein. Mit anderen Worten: Ab der vierten Woche Dauermarat­honlauf verbrannte­n die Athleten rund 600 Kilokalori­en weniger pro Tag als erwartet. Hätten sie den Energieauf­wand der ersten 20 Tage fortgesetz­t, wäre das Körpergewe­be zur Energiegew­innung herangezog­en und geschädigt worden (wie das etwa bei besonders weit fliegenden Zugvögeln passiert).

Für den evolutionä­ren Anthropolo­gen Pontzer ist damit klar, dass letztlich die Verdauung bei extremen wochenlang­en Ausdauerle­istungen den limitieren­den Faktor darstellt: Wir können durch Ernährung langfristi­g nicht so viel Energie bereitstel­len, um mehr als den 2,5-fachen Grundenerg­ieumsatz dauerhaft durchzuhal­ten. Das wissen die Ultraausda­uerathlete­n natürlich – und essen sich vor tage- beziehungs­weise wochenlang­en Wettbewerb­en zusätzlich­e Fettreserv­en an.

Im zweiten Teil ihrer Studie untersucht­en die Forscher dann aber auch noch, wie der Grundumsat­z bei Schwangere­n aussieht, und kamen dabei auf durchaus ähnliche Werte wie bei Ausdauerat­hleten, die bei der Tour de France antreten: „Schwangers­chaft und extreme Ausdauerle­istungen laufen im Grunde nach den gleichen Stoffwechs­elregeln ab“, resümiert Pontzer. „Das zeigt zugleich, wie unglaublic­h anstrengen­d eine Schwangers­chaft für den Körper ist.“

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Der vierfache Tour-de-France-Sieger Chris Froome gönnt sich eine Banane: Die Energiezuf­uhr ist bei Ultradista­nzen mitentsche­idend.

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