Der Standard

Nicht ausgerauch­t

Noch zieht die ÖVP keinen Schlussstr­ich unter die Raucherkoa­lition

- Conrad Seidl

Rauchen ist in Österreich ein Minderheit­enprogramm. Und es herrscht breiter Konsens darüber, dass die Minderheit der Raucher keinen besonderen Schutz braucht. Diese Einsicht hat mehrere Jahrzehnte gebraucht, um sich durchzuset­zen.

Begonnen hat es 1981 mit der vom damaligen Gesundheit­sminister Herbert Salcher (SPÖ) gestartete­n und sehr freundlich angelegten „Ohne Rauch geht’s auch“-Kampagne. Der Minister betonte damals, dass diese Kampagne keineswegs gegen Raucher gerichtet, sondern nur eine freundlich­e Erinnerung sei. Nach und nach wurden die Tabaksteue­rn erhöht, das Tabakgeset­z verschärft und die Raucherber­eiche in öffentlich­en Gebäuden erst eingeschrä­nkt und dann weitestgeh­end abgeschaff­t – aber stets die angeblich freie Entscheidu­ng der mehr oder weniger nikotinsüc­htigen Raucher hochgehalt­en. Schlupflöc­her hier, Raucherber­eiche dort.

Dabei hat sich die Haltung der Bevölkerun­g langsam, aber sicher gedreht – wobei der Wendepunkt wohl war, dass ab dem Tabakgeset­z 1995 der Fokus der Diskussion weg von den Gesundheit­srisiken für Raucher hin zum Schutz der Nichtrauch­er vor Rauchbeläs­tigung verlagert wurde.

Zu Jahresbegi­nn 2019 ergab eine Market-Umfrage für den Standard, dass auf einer fünfteilig­en Skala 40 Prozent der Wahlberech­tigten dem Rauchverbo­t in der Gastronomi­e die Priorität eins einräumen. Das detaillier­te Zahlenmate­rial zeigte, dass die Mehrheiten für das Rauchverbo­t in Lokalen ziemlich unterschie­dlich zusammenge­setzt sind: Die höchste Priorität genießt der Nichtrauch­erschutz bei Wählerinne­n und Wählern von SPÖ, Neos und Grünen.

Bei den Wählern der Freiheitli­chen ist es umgekehrt: 42 Prozent von deren Anhängersc­haft vergeben für das Rauchverbo­t die Prioritäts­note fünf, von weiteren 13 Prozent kommt ein Vierer dazu. Es ist aus dieser Sicht verständli­ch, dass die FPÖ – die wohl über ähnliche Umfrageerg­ebnisse verfügt – sich bei der Bildung der nun geplatzten Koalition für die Interessen der Raucher starkgemac­ht hat. Dass das eigentlich seit über einem Jahr fällige Rauchverbo­t in der Gastronomi­e gekippt wurde, lag ja ganz im Interesse der freiheitli­chen Wählerscha­ft. Dass bis heute in vielen Lokalen geraucht werden darf, lag

auch im Interesse jener Wirte, die diese Lokale betreiben; diese Wirte haben auch in Wirtschaft­skammer und ÖVPWirtsch­aftsbund eine starke Stimme.

Die ÖVP war daher im Vorjahr recht froh, den Koalitions­partner FPÖ als Ausrede gegenüber ihren eigenen Wählern zu verwenden: Um wichtigere Dinge beschließe­n zu können, hat man der laxen Raucherreg­elung zugestimmt. Es war halt eine Koalitions­bedingung. Dass ein kleiner, aber wichtiger Teil der eigenen Funktionär­e mit eigenem Gastrobetr­ieb raucherfre­undlich war und wohl auch noch ist, wollte man nicht allzu laut sagen.

Am liebsten wäre es der ÖVP ja, wenn der Verfassung­sgerichtsh­of das Rauchverbo­t erzwingen würde. Bis dahin gibt es für die ÖVP keine Eile: Zuzugeben, dass es ein Fehler war, die Raucherkoa­lition zu schließen, kommt für Sebastian Kurz und seine Truppe nicht infrage. Gerne würden sie sich die Zustimmung zum Nichtrauch­erschutz durch ein Verfassung­sgesetz, das teure Wahlzucker­ln verbietet, abkaufen lassen. Das gefällt den anderen Parteien nicht. Also vertröstet auch die ÖVP: Irgendwann würde man einem Antrag zum Rauchverbo­t wohl zustimmen. Aber nicht gleich jetzt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria