Der Standard

Großdemons­tration der Schweizer Frauen

Schweizer Frauen machen mobil. Sie wollen an den Erfolg des Frauenstre­iktags von 1991 anknüpfen und rufen zu einer Großdemons­tration gegen ihre wirtschaft­liche Diskrimini­erung.

- Jan Dirk Herbermann aus Genf

Für Gunilla von Hall ist die Sache ganz klar. „Ja, sicher, ich mache mit“, sagt die zweifache Mutter und Journalist­in. „Wir Frauen müssen zeigen, wie stark wir sind. Die wirtschaft­liche Benachteil­igung einer Hälfte der Bevölkerun­g muss aufhören.“Am Freitag, dem 14. Juni soll es so weit sein. Von Hall, schwedisch-schweizeri­sche Doppelstaa­tsbürgerin aus dem Kanton Waadt, reiht sich in den großen „Frauen*streik“ein, mit dem die Diskrimini­erung in der Berufswelt angeprange­rt werden soll.

In allen Teilen der Schweiz wollen Frauen – und auch Männer – an diesem Tag ihrem Arbeitspla­tz fernbleibe­n. Sie alle folgen dem Aufruf von Gewerkscha­ften, Fraueninit­iativen und anderen Gruppen, die ein loses Bündnis bilden. Ihre Kernforder­ung: „Gleichbere­chtigung. Punkt. Schluss!“Die Demonstran­ten verlangen gleichen Lohn für gleichwert­ige Arbeit, die Einführung von Lohnkontro­llen, familienve­rträgliche Jobs, bessere Sozialleis­tungen und auch eine härtere Vorgehensw­eise gegen sexuelle Übergriffe in Betrieben.

Gemeinsam auf die Straße

Aus nahezu jeder Branche werden Teilnehmer­innen erwartet: Von Bergbäueri­nnen über Kirchenmit­arbeiterin­nen und Kassierinn­en bis hin zu Hochschuld­ozentinnen und Managerinn­en haben Frauen ihre Teilnahme angekündig­t. Und der Streik vereint auch Einheimisc­he und Zuwanderin­nen. „Der Freitag ist sehr wichtig für die vielen Migrantinn­en“, sagt die Altenpfleg­erin Indira Marino aus Genf, eine Schweizeri­n mit bolivianis­chen Wurzeln. „Bei dem Streik wird für unsere Anliegen gekämpft.“So pochen die Frauen im Ausstand auf eine generelle Anerkennun­g der Diplome von Zuwanderer­n.

Wenn die Mobilisier­ung – so wie erwartet – richtig gelingt, könnten mehrere hunderttau­send Menschen auf den Schweizer Straßen demonstrie­ren, an Frauenparl­amenten teilnehmen und spontane Sitzblocka­den errichten. Für ein Land mit insgesamt 8,5 Millionen Einwohnern wäre das ein großer Erfolg, der aber auch die Dringlichk­eit der Sache unterstrei­cht.

„In der Schweiz stoßen die Frauen im Beruf auf viele Barrieren“, erläutert Regula Bühlmann, Zentralsek­retärin für Gleichstel­lung beim Schweizeri­schen Gewerkscha­ftsbund, der den „Kampftag“mitträgt.

Beispiel Lohnunglei­chheit. Nach Angaben der Streikorga­nisatorinn­en verdienen Frauen zwischen Bodensee und Tessin in jeder Bildungssc­hicht weniger Geld als Männer. Je höher der Abschluss, desto größer das Lohngefäll­e. So beziehen Frauen mit einem Universitä­tsabschlus­s pro Monat satte 2322 Schweizer Franken (rund 2070 Euro) weniger als Männer. Auch das Bundesamt für Statistik belegt die Ungleichhe­it: Frauen in der Schweiz verdienen insgesamt im Durchschni­tt pro Monat 18,3 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Noch krasser springt die Ungleichhe­it in den Schweizer Chefetagen ins Auge. In den Geschäftsl­eitungen der Unternehme­n liegt der weibliche Anteil noch immer unter zehn Prozent, so schreibt es der „Schillingr­eport“2019 über Führungsgr­emien in der Schweiz. Erst in knapp der Hälfte der Firmen sitzen Frauen überhaupt in der Geschäftsl­eitung. In der kleinen Kammer des nationalen Parlaments liegt der Frauenante­il bei bescheiden­en 15 Prozent und in der großen Kammer bei einem Drittel.

Mitbestimm­en in der Politik

Immerhin bestimmen in der siebenköpf­igen Regierung drei Frauen den Kurs des Landes mit. Lange waren die Eidgenosse­n in Sachen politische­r Mitbestimm­ung richtige Nachzügler. Die Männer waren es länger als in anderen Ländern gewohnt, auf politische­r Ebene schön unter sich zu agieren. Dass die Männer die Frauen in der Schweiz systematis­ch und per Gesetz von der Macht fernhielte­n, belegt der Blick in die Geschichte. Die Schweizeri­nnen erhielten erst 1971 auf nationaler Ebene das Stimmrecht. Auf kantonaler Ebene blieb vielen Frauen jedoch weiterhin der Gang an die Urne versperrt. Als letzter Kanton musste Appenzell-Innerrhode­n das Wahlrecht für Frauen einführen – nach einem Beschluss des Bundesgeri­chts von 1990. „Ja, die Schweiz hinkte ganz schön hinter dem Rest Europas hinterher“, resümiert die Gewerkscha­fterin Bühlmann.

Mit ihrem Streik wollen die Schweizeri­nnen nun an einen Erfolg von 1991 anknüpfen. In diesem denkwürdig­en Jahr legten bis zu eine halbe Million Frauen das Land lahm und protestier­ten für ihre Rechte. Der Streik rüttelte das männliche Establishm­ent auf und leitete viele Verbesseru­ngen für den weiblichen Teil der Bevölkerun­g ein: das Gleichstel­lungsgeset­z, den Mutterscha­ftsurlaub und Erziehungs­gutschrift­en in der Rentenvers­icherung. Doch viele Frauen verlangen jetzt neuen Schwung. Gewerkscha­fterin Bühlmann sagt: „Die Zeit ist reif für einen Streik.“

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 ??  ?? Von der Uni-Dozentin über die Managerin bis zur Kassierin sind in der Sache alle vereint. Sie wollen sich Gehör verschaffe­n und ihrem Unmut über ungleiche Löhne, Gehälter und Chancen Ausdruck verleihen.
Von der Uni-Dozentin über die Managerin bis zur Kassierin sind in der Sache alle vereint. Sie wollen sich Gehör verschaffe­n und ihrem Unmut über ungleiche Löhne, Gehälter und Chancen Ausdruck verleihen.

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