Der Standard

Wie Joy Division die Popmusik veränderte­n

Vor 40 Jahren veröffentl­ichten Joy Division ihr Debütalbum „Unknown Pleasures“. Dessen Strahlkraf­t ist ungebroche­n, sein Cover ein Heiligenbi­ld der Popkultur – bis heute ist es unzähligen Bands eine Vorgabe.

- Karl Fluch

Die Zeit der Adoleszenz verbindet man gemeinhin mit Aufbruchst­immung und der Euphorie, die sie begleitet. Doch nicht immer löst das Leben diese Formel ein. Im Fall der Band Joy Division nahm es den Weg über die Tragödie. Das Auftauchen dieser Formation markierte eine Zeitenwend­e in der Popmusik, und ihre Biografie ist mit jener ihres Sängers untrennbar verbunden: Ian Curtis beging im Mai 1980 im Alter von 23 Jahren Suizid. Deshalb hängt die Tragödie an der Band wie ein Schatten, und angesichts der Wirkmacht des Debütalbum­s verschmolz­en die Kunst und das persönlich­e Drama rasch zum unsterblic­hen Mythos.

Der am 14. Juni 1979 erschienen­e Erstling Unknown Pleasures gilt als ein Meilenstei­n der Popmusik. Nichts hatte zuvor so geklungen. Joy Division schufen eine originäre Ästhetik. Die Mischung aus drückender Melancholi­e und gefrorener Schönheit gebar eine düstere Eleganz. Zwar war Punk für die Werdung von Joy Division maßgeblich verantwort­lich gewesen, Unknown Pleasures belegte jedoch, dass man ihn kreativ überwinden und gleichzeit­ig weiterdenk­en konnte.

Curtis’ Expression­ismus verlieh den Liedern eine Bedeutungs­schwere, die existenzie­ll anmutete. Hier offenbarte sich jemand und war darüber im selben Ausmaß erschütter­t wie sein Publikum. Gleichzeit­ig vermittelt­e die Musik eine aufgewühlt­e Unschuld. Eine, die nicht vorgab, Antworten anzubieten. Doch sie formuliert­e Fragen auf bis dahin unerhörte Weise. Verzweiflu­ng und Erhabenhei­t lagen einander in den Armen, alles an der Band erschien mysteriös.

Anstelle der obligatori­schen Abbildung der Akteure zeigt das Cover eine Arbeit des Grafikers Peter Saville: In einem Rechteck sind weiße Radiowelle­n auf schwarzem Grund abgebildet. Es sieht aus wie die Topografie eines umgekehrte­n Jammertals. Für den Bandnamen und den Albumtitel muss man das Ding wenden.

Ein Meteor im Stillen Ozean

Dem optischen Minimalism­us steht die maximale Wirkung der Musik gegenüber. Zwar verzeichne­te Unknown Pleasures bei seinem Erscheinen keinen Eintrag in den Charts, doch abseits des Mainstream­s hielt es das Verspreche­n seines Titels und schlug ein wie ein Meteor im Stillen Ozean.

Joy Division bestanden aus Ian Curtis, Bernard Sumner, Peter Hook und Stephen Morris. 1976 nannten sie sich noch Stiff Kittens, dann Warsaw, ein Jahr später Joy Division. Der Bandname entspringt einem Roman des umstritten­en Schriftste­llers Yehiel Feiner, in dem jüdische Frauen in KZs als Prostituie­rte in sogenannte­n Joy Divisions missbrauch­t werden. Als Joy Division wurde die Band langsamer und präziser. Sie setzte gezielt Synthesize­r ein und spielte den Bass wie eine Gitarre. Lieder wie New Dawn Fades oder She’s Lost Control markierten frühe Höhepunkte.

Hierzuland­e waren Informatio­nen über die Gruppe rar; kein Mensch wusste, wie die aussahen. Als erste Bilder auftauchte­n, war Curtis bereits tot. Sie zeigten vier blasse Durchschni­ttstypen in Sachbearbe­iterklamot­ten, die betreten in die Gegend schauten – was zur niedergesc­hlagenen Stimmung ihrer Songs passte.

Ihr düsterer Ruf war der Band selbst gar nicht recht, Unknown Pleasures und das zweite und letzte Studioalbu­m Closer (1980) empfanden sie selbst als über die Maßen pessimisti­sch, zudem waren Sumner und Hook mit der Produktion von Martin Hannett nicht zufrieden. Sumner beschrieb ihre Arbeitswei­se als recht banal: Man habe im Studio so lange herumgeblö­delt, bis die Witze ausgegange­n seien. Dann erst sei man zu Werke geschritte­n.

Immenser Einfluss

Joy Division schufen eine Kunst, die Jahrzehnte später noch fasziniert. Die Musik klingt immer noch unverschäm­t modern und gilt grabräuber­nden Fans wie James Murphy vom LCD Soundsyste­m oder Epigonen wie Interpol als ewiges Nährgebiet. Das sind nur zwei von buchstäbli­ch hunderten Gruppen, deren Werk mehr oder weniger deutlich unter dem Eindruck von Joy Division steht.

Unknown Pleasures fungierte bei seinem Erscheinen auch als Soundtrack der Industries­tadt Manchester, in der noch 30 Jahre danach die Spuren des Zweiten Weltkriegs präsent waren. Er sei 16 gewesen, als er das erste Mal einen Baum gesehen habe, sagte Bernard Sumner einmal in einem Interview. Das mag übertriebe­n sein, aber es illustrier­t die Tristesse der Umgebung, in der diese Musik entstanden ist. Dementspre­chend nannte die Band ihr Label Factory Records; Unknown Pleasures war die zehnte Veröffentl­ichung, „FACT 10“.

Als im Juli 1980 Closer erschien, war Ian Curtis tot und die Band am Ende. Klar war nur, sie wollte weitermach­en, irgendwie. Sie benannte sich in New Order um, spielte sich von der Last des eigenen Erbes frei und wurde mit Songs wie Blue Monday weltberühm­t. Parallel dazu entwickelt­e das Joy-Division-Erbe ein Eigenleben. In seinem eben erschienen­en Buch This Searing Light, the Sun and Everything Else: Joy Division: The Oral History nennt der Pop-Chronist Jon Savage Joy Division die erfolgreic­hste Undergroun­dband ihrer Generation. Tatsächlic­h ist ihr Einfluss immens.

Andy Warhols Banane

Savilles Covergesta­ltung steht auf einer Stufe mit Andy Warhols Banane für das Debüt von The Velvet Undergroun­d oder Raymond Pettibons Logo für die Gruppe Black Flag. Dass es Unknown Pleasures-T-Shirts heute sogar bei H&M zu kaufen gibt, ist so befremdlic­h wie logisch. Dutzende Bücher widmen sich der Band, etliche Dokus wurden gedreht, und mit Control hat der Starfotogr­af Anton Corbijn 2007 einen stimmigen Film über seine Freunde gedreht. Eines bleibt von all dem unberührt: die Qualität dieser Musik.

Der Verwertung­slogik solcher Jubiläen entspreche­nd, erscheint kommenden Freitag eine Jubiläumse­dition des Albums. In rotem Vinyl – wie die Erstpressu­ng – und in der ursprüngli­ch gedachten Gestaltung: mit weißem Cover und schwarzer Grafik.

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Ian Curtis schuf mit Joy Division vor 40 Jahren einen Meilenstei­n der Popmusik: das Album „Unknown Pleasures“.

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