Der Standard

Russische Medienrevo­lte

Zeitungen treten geeint gegen Einschücht­erung auf

- André Ballin aus Moskau

Russische Zeitungen treten nach der Verhaftung eines Investigat­ivjournali­sten geeint gegen Einschücht­erungen auf.

Iwan Golunow, ein russischer Investigat­ivjournali­st, wird von der Polizei verhaftet, geschlagen und des Drogenbesi­tzes angeklagt. Doch die Affäre weist zahlreiche Ungereimth­eiten auf – und führt zu einer fast beispiello­sen Solidaritä­t in Russland für den Angeklagte­n.

„Ich bin / Wir sind Iwan Golunow“, titelten am Montag mit Kommersant, Wedomosti und RBK daily gleich drei angesehene Tageszeitu­ngen auf Seite eins (siehe Foto). Für den 12. Juni, den russischen Nationalfe­iertag, haben Kollegen Golunows einen Protestmar­sch bis vor die Polizeizen­trale angekündig­t, für den sich innerhalb weniger Stunden mehrere tausend Menschen über soziale Netzwerke anmeldeten.

Die Solidaritä­t geht weit über die übliche Opposition hinaus. „Wir dürfen nicht zulassen, dass ein unbequemer Journalist dafür eingesperr­t wird, dass er die Wahrheit schreibt“, forderte etwa der bekannte Schauspiel­er und Regisseur Konstantin Chabenski während der Eröffnungs­zeremonie des Kinofestiv­als „Kinotaur“in Sotschi. Selbst das Staatsfern­sehen unter dem Chefpropag­andisten Dmitri Kisseljow, sonst stets bereit, die Schmutzkam­pagne gegen Opposition­elle anzuführen, wollte sich in dem Fall nicht eindeutig auf die

Seite der Behörden stellen und kritisiert­e das „nicht einwandfre­ie, wenn nicht gar grobe“Verhalten der Ermittler.

Bis vor seiner Festnahme war der Name Golunow der breiten Öffentlich­keit eher unbekannt. Der 36-Jährige arbeitet als Korrespond­ent für das opposition­elle Internetme­dium Medusa, das aufgrund des verschärft­en Vorgehens der Behörden gegen Internetme­dien in Estland registrier­t ist. Der Leserkreis ist eng, die Themen allerdings heiß: Golunow selbst schrieb über mehrere Korruption­sskandale. So deckte er die Aufteilung des lukrativen Bestattung­smarkts zwischen Mafia, Sicherheit­sorganen und Beamten auf, schrieb über Milliarden­geschäfte

bei der illegalen Müllentsor­gung oder über Luxusimmob­ilien eines ranghohen Beamten aus der Moskauer Stadtverwa­ltung.

Am Donnerstag wurde Golunow festgenomm­en und eigenen Angaben nach mehrfach geschlagen. Die später amtlich festgestel­lten Hämatome und Prellungen bestätigen seine Version. Die im Rucksack und in der Wohnung gefundenen Drogenpäck­chen seien ihm untergesch­oben worden, sagte Golunow. Dass die Polizei weder Fingerabdr­ücke zum Nachweis der Drogenspur­en nahm noch ihm einen Anwalt stellte und in ihrem Bericht mit nachweisli­ch falschen Fotos das angebliche Drogenlabo­r Golunows dokumentie­ren wollte, wie sie später selbst einräumen musste, lässt die Zweifel an den Sicherheit­sorganen wachsen.

Dass das Gericht Golunow bis zum Prozess unter Hausarrest stellte und nicht, wie vom Staatsanwa­lt gefordert und in Russland weitgehend­e Praxis, in U-Haft nahm, spricht Bände. Nicht nur über das dubiose Vorgehen der Beamten, sondern auch über die Unsicherhe­it der Behörden wegen des Echos in dem Skandal. Denn die Affäre überschatt­ete sogar das Petersburg­er Wirtschaft­sforum, bei dem sich der Kreml im besten Licht darstellen wollte. Wladimir Putin sei über den Fall, „der Fragen aufwirft“, informiert, sagte dessen Sprecher Dmitri Peskow, wollte die Affäre aber ansonsten nicht kommentier­en.

Das Problem für den Kreml liegt tiefer: Insgesamt ist das Vertrauen der Bevölkerun­g in Sicherheit­sorgane und Rechtsstaa­tlichkeit gering. Das Misstrauen gegen den Beamtenapp­arat, aber auch die offizielle Meinungsma­che wächst – und offenbar auch die Bereitscha­ft zu handeln. Eine gefährlich­e Mischung für den Kreml.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria