Der letzte Ball – oder nicht
Am Samstag ging der womöglich letzte Life Ball auf dem Rathausplatz über die Bühne. Die Tickets für den Charity-Event zugunsten HIV/Aids waren schnell ausverkauft. Wien will sich um den Erhalt bemühen.
Wien will, dass der Life Ball 2019 nicht der letzte gewesen ist. Ob das gelingt, ist offen.
Dirk und sein Freund trugen nur wenige Quadratzentimeter Leder auf den durchtrainierten Oberkörpern. Als bei der Life-Ball-Show auf dem Wiener Rathausplatz Samstagnacht Halbzeit war, liefen die Hamburger bereits durch die Rathausgänge. „Es ist uns draußen zu kühl geworden“, sagte Dirk. Ungefähr 20 Grad maß das Thermometer. „Und die Show zieht sich etwas in die Länge.“Auch zahlreiche andere Zuseher mit Tickets wechselten deutlich vor Showende in die Partyhallen. Obwohl klar war: Der 26. Life Ball war der letzte seiner Art. Wenn es nicht der finale war, dann doch der letzte, den sein Erfinder Gery Keszler organisiert hat.
Vor und auch auf dem Charity-Event für HIV- und Aids-Projekte wurde viel gemunkelt, ob und wie es weitergehen werde mit dieser Institution, deren Aus Keszler einige Wochen zuvor verkündet hatte. Keszler selbst sagte am Samstag mit feuchten Augen: „Abschied zu nehmen ist keine einfache Sache. Doch die Zeiten ändern sich. Die Welt wird kälter.“Aus der Feier für das Leben, mit der 1993 alles begann, ist über die Jahre „ein Millionenevent“geworden, wie Keszler es formulierte. Insgesamt wurden damit laut Verein Life+ rund 30 Millionen Euro für Hilfsprojekte gesammelt. Wenn heute jemand helfe, so schilderte Keszler, frage er dann aber immer auch nach der Gegenleistung. Das Ende des Life Ball sei „keine Laune von mir“, sagte Keszler: „Sondern wir hatten keine andere Wahl.“
Rot-Grün für Erhalt
Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hatte zuvor bereits angedeutet, dass man seitens der Stadt gewillt sei, diesen Event, dieses „Statement für Toleranz und Akzeptanz“, zu erhalten. „Werte PartyPeople“, eröffnete der Hausherr seine Rede. Er sei stolz, Bürgermeister einer Stadt zu sein, in der der Life Ball stattfindet, und „betroffen“über das Aus. „Die Idee des Life Ball muss weiter bestehen“, sagte Ludwig.
Am Montag betonte auch Birgit Hebein, die Ende Juni Maria Vassilakou (beide Grüne) als Vizebürgermeisterin beerben wird, gegenüber dem Standard, „alles zu unternehmen, um die Institution Life Ball zu erhalten“. Man werde sich in der Koalition überlegen, wie das aussehen könnte. Denn der Ball habe in den vergangenen Jahren einen wichtigen Stellenwert in puncto Information, Prävention und Bewusstseinsbildung für die Krankheit erlangt. Hebein sei
„offen für Gespräche“.
Conchita Wurst, der in der Vergangenheit immer wieder nachgesagt wurde, dass sie den Ball künftig führen werde, erklärte der APA zwar, dass sie die Organisation nicht übernehmen würde, scherzte in ihrer Moderation am Samstag aber, es sei „nur ein Gerücht“, dass es die letzte Auflage des Events sei. Wurst führte als Zirkusdirektor mit unzähligen Kostümwechseln durch die Eröffnung. Getreu dem Dresscode „Zirkus“verwandelten fröhliche bis gruselige Clowns, Artisten und wilde Tiere den Rathausplatz in eine Manege. Ein Zirkus, in dem falsche Wimpern, Pailletten, Glitzer und Strass ebenso wenig fehlen durften wie Luftballonsträuße, 25-Zentimeter-Absätze und Make-up in allen Farben des Regenbogens. „Kommen Sie, kommen Sie: So etwas haben Sie noch nie gesehen. Das Leben in all seiner Pracht“, rief Wurst zu Beginn. Dann eröffnete die Show mit tristen Schwarz-Weiß-Szenen und Wurst als Zirkusdirektor. Doch schnell schlüpfte Wurst in rote High Heels, schlug sie in Dorothy-Gayle-Manier zusammen und startete die bunte Reise. In einem zweieinhalbstündigen Prozedere wurden Würfel in den Farben des Regenbogens gesammelt. Aus den Steinen sollte eine Brücke zur Regenbogenparade entstehen, die am Samstag in Wien stattfindet. All das ging mit mehr oder weniger prominenter Unterstützung vonstatten.
Mit Model Carmen Carrera ging es über die Yellow Brick Road, Katie Holmes las für die Aidsstiftung Amfar ein paar Worte ab und bedankte sich für das „viele Geld“, das der Life Ball für ihre Organisation gesammelt hat. Dita Von Teese räkelte sich auf einem übergroßen Lippenstift, als die Vienna Comedian Harmonists das Lied Roter Mohn zum Besten gaben und die Debütanten als Mohnblumen verkleidet ihre mit Thomas Schäfer-Elmayer einstudierte Choreografie abtanzten. Dagmar Koller, die schon am ersten Life Ball dabei war, lief bei der Modenschau von Christian Cowan über den Laufsteg. Kollers verstorbener Mann, Helmut Zilk, hatte 1993 als damaliger Bürgermeister den Ball ins Rathaus geholt.
Um das Spektakel aus erster Reihe zu verfolgen, hatten sich hunderte Zaungäste schon am späten Nachmittag an den Absperrgittern eingefunden. Ticketbesitzern stand das Rathaus bis fünf Uhr früh zum Tanzen offen. Auf dem Life-Ball-Gelände stand auch eine Station für HIV- und Hepatitis-C-Tests. 135 Besucher machten einen kostenlosen Bluttest, zehn nahmen nur das Beratungsgespräch in Anspruch.
Keszlers Erbe
Viele wollten den vielleicht letzten Life Ball besonders genießen. Möglicherweise finden sie sich schon bald aus gleichem Anlass zu einem ähnlichen Event ein. Denn der Abschied nehmende Keszler sagte, Bürgermeister Ludwig sei, „wie auch viele andere Menschen“, mit Ideen auf die Organisatoren des Balls zugekommen. Und er gab sich einigermaßen gesprächsbereit: „Wir werden in den kommenden Monaten ausloten, wie aus dem Erbe des Life Ball etwas Gutes wachsen kann.“Jedenfalls gefeiert werde, wenn das Ziel des Life Ball erreicht wird: „Hoffentlich sehen wir uns sehr bald wieder und feiern das größte Fest. Dann, wenn HIV/Aids besiegt ist“, sagte Keszler.
„ Abschied zu nehmen ist keine einfache Sache. Das ist keine Laune von mir, sondern wir hatten keine andere Wahl. Gery Keszler “