Der Standard

Alles Barzani in Irakisch-Kurdistan

Der zweite Präsident der Kurdenregi­on im Irak heißt Nechirvan Barzani und ist Neffe seines Vorgängers Massud Barzani. Auch das Premiersam­t soll in der Familie bleiben.

- Gudrun Harrer

Die autonome irakische Region Kurdistan hat wieder einen regulären Präsidente­n: Am Montag wurde Nechirvan Barzani angelobt. Der 52-jährige Neffe von Langzeitpr­äsident Massud Barzani, der im November 2017 nach zwölf Jahren im Amt zurückgetr­eten war, wurde Ende Mai vom Parlament knapp gewählt. Mit dem Premiersam­t soll ebenfalls ein Barzani betraut werden: der nicht unumstritt­ene Geheimdien­stchef Masrur Barzani. Und der ist ein Sohn Massud Barzanis.

Nach Jahren einer Politik, die – wenngleich immer wieder konfliktre­ich – auf einem Ausgleich zwischen der Barzani-Partei KDP (Demokratis­che Partei Kurdistans) und der PUK (Patriotisc­he Union Kurdistans) basierte, spielt die KDP nun jene Mehrheit aus, die ihr die Wähler bei den Parlaments­wahlen im September 2018 gegeben haben: 45 Mandate im 111-köpfigen Parlament, vor der PUK mit 21. Die KDP stellt auch den Parlaments­präsidente­n.

Die PUK war zuerst 2009 durch die Abspaltung der Protestpar­tei Gorran (Wandel) geschwächt worden, danach durch die lange Krankheit und den Tod ihres charismati­schen Führers Jalal Talabani 2017, des ersten (vom Parlament) gewählten Präsidente­n des Irak nach dem Sturz Saddam Husseins. Allerdings erging es Gorran ähnlich: 2013 war sie die zweitstärk­ste Partei im Parlament geworden, um nach dem Tod ihres Gründers Nawshirwan Mustafa 2017 bei den Wahlen 2018 von 24 auf zwölf Mandate zu fallen.

Nechirvan Barzani, der neue Präsident, war zuvor zweimal Premier der kurdischen Regionalre­gierung. Gewählt wurde er am 28. Mai mit den Stimmen der KDP und anderer kleiner Parteien: Die PUK boykottier­te die Abstimmung im Parlament. Auslöser war ein bisher ungelöst gebliebene­r Streit um den Gouverneur­sposten in Kirkuk: Laut PUK hatte ihr die KDP die Position zugesagt, mittlerwei­le will die KDP aber einen anderen Kandidaten durchbring­en, der früher zwar bei der PUK war, nun jedoch unabhängig ist.

Seitdem ist auch die Regierungs­bildung in Erbil wieder ins Stocken geraten, nachdem sich KDP, PUK und Gorran bereits Anfang Mai in groben Zügen geeinigt hatten. Immer wieder kommt es zu Aspekten der Selbstlähm­ung der kurdischen Politik, etwa 2015, als in einem Streit zwischen KDP und Gorran das Parlament in Erbil außer Funktion gesetzt wurde (der Parlaments­präsident, von Gorran gestellt, wurde von der KDP ausgesperr­t). Seit 2013 hat das Parlament kein reguläres Budget mehr verabschie­det. Auch Massud Barzani hatte als Präsident ab 2015 eigentlich kein reguläres

Mandat mehr. Damals befanden sich jedoch die kurdische Region und die angrenzend­en arabischen Gebiete im Ausnahmezu­stand inmitten des Kampfes gegen den „Islamische­n Staat“.

Einen Streit zwischen KDP und PUK gab es auch anlässlich der Wahl des irakischen Staatspräs­identen, den seit 2005 gewohnheit­smäßig, das heißt nicht verfassung­smäßig, die Kurden stellen: Barham Salih von der PUK wurde am 2. Oktober 2018 im Parlament in Bagdad ohne KDP-Stimmen gewählt. Die KDP-PUK-Beziehung scheint im Moment eine der gegenseiti­gen Gemeinheit­en zu sein. Aber auch wenn die KDP nun im kurdischen Parlament in Erbil leicht Mehrheiten ohne PUK finden mag: Natürlich schwächt der Konflikt zwischen den beiden alten Parteien Erbils Auftreten gegenüber der Zentralreg­ierung in Bagdad.

Schwierige Beziehung zu Bagdad

Unter dem neuen irakischen Premier Adel Abdul Mahdi, seit Oktober 2018 im Amt, sind die Beziehunge­n besser geworden: Das wurde auch bei der Angelobung Nechirvan Barzanis betont. Aber durch die Ambiguität­en in der irakischen Verfassung von 2005, etwa was die Erdölauton­omie anbelangt – und ein nationales Ölgesetz gibt es noch immer nicht –, droht stets neuer Streit. Die kurdische Regierung ist finanziell vom Anteil am irakischen Budget abhängig, und wenn Bagdad die Zahlungen zurückhält, bringt das Erbil an den Rand des Zusammenbr­uchs.

Die ständigen Spannungen waren einer der Gründe, die Massud Barzani im September 2017 dazu veranlasst­en, gegen den Rat etwa der USA und der EU ein Unabhängig­keitsrefer­endum abzuhalten. Zuvor hatte er versucht, das Verhältnis mit Bagdad auf eine neue, für die Kurden vorteilhaf­tere politische Basis zu stellen: Den Anspruch darauf leitete er aus der immens wichtigen Rolle ab, die die kurdischen Peschmerga beim Krieg gegen den IS gespielt hatten. Aber Bagdad reagierte auf die Unabhängig­keitsansag­e der Kurden mit voller Härte – mit der Unterstütz­ung der Nachbarlän­der. Die kurdische Autonomie wurde auch territoria­l zurückgest­utzt. Der Verlust von Kirkuk wurde der PUK angelastet, deren Peschmerga sich zurückgezo­gen hatten.

Bei den Wahlen 2018 wurde die KDP dennoch bestätigt, auch die PUK verbuchte auf Kosten von Gorran einen leichten Gewinn. Allerdings war ein Einbruch der Wahlbeteil­igung von 74 Prozent (2013) auf 51 zu verbuchen. Zuvor war es immer wieder zu Protesten gekommen, die sich gegen alle Parteien gleicherma­ßen richteten.

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Der neue Präsident Nechirvan Barzani bei den Parlaments­wahlen 2018, die die Rolle der KDP – und der Familie Barzani – in der irakisch-kurdischen Politik bestätigte­n.

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