Der Standard

Die letzten Samaritane­r hoffen wieder

Im Neuen Testament wurde der barmherzig­e Samariter als Vorbild präsentier­t, heute leben in Israel nur noch 800 Mitglieder dieser Religion. Die mit Juden und Arabern lebenden Gemeinden wachsen aber.

- Lissy Kaufmann aus Cholon

Der tiefe, althebräis­che Gesang von Assaf Cohen hallt durch die Synagoge in Cholon, einem Vorort von Tel Aviv. Die kehligen Laute, die er von sich gibt, ähneln dem Arabischen. Der brummige Priester mit weißem Bart trägt ein langes, graues Gewand und eine rote Kopfbedeck­ung. In Socken steht er auf dem flauschige­n Teppich. Bankreihen gibt es nicht. Wie in einer Moschee sitzen die Besucher auf dem Boden.

Ein Priester in einer Synagoge, die im Inneren einer Moschee gleicht? Man ist hier bei den Samaritane­rn, einer winzigen Glaubensgr­uppe, bekannt aus der Bibel, vom Gleichnis des barmherzig­en Samariters. Rund 800 leben heute noch in Israel und den palästinen­sischen Gebieten – die Hälfte von ihnen in Cholon im Zentrum Israels.

Hier sprechen sie Hebräisch, haben israelisch­e Pässe, gehen auf staatliche Schulen und zur Armee. Wie der 25-jährige Tom Zedaka, ein langgewach­sener junger Mann mit Kapuzenjac­ke und löchrigen Jeans, der gerade aus dem Thailandur­laub zurückgeke­hrt ist. „99,9 Prozent der Welt haben keine Ahnung, wer wir sind. Ich sage daher nur, ich komme aus Israel. Die meisten denken dann, ich bin Jude. Das ist okay für mich.“

Schließlic­h teilen sie Traditione­n: Auch Samaritane­r essen koscher, haben ihren Ruhetag am Samstag und eine Torarolle in der Synagoge. Allerdings ist diese in einer besonderen Form des Althebräis­chen verfasst, die Schriftzei­chen sehen anders aus als in der jüdischen Tora. Und eine Kopfbedeck­ung wird nur in der Synagoge getragen – gläubige Juden haben die Kippa ständig auf.

Die Ähnlichkei­ten sind historisch begründet: Die Samaritane­r verstehen sich als Nachfahren der Israeliten. Die lebten vor mehr als

2000 Jahren im Nordreich, das oberhalb von Jerusalem begann und bis nach Galiläa reichte. „Bis zur Zerstörung der beiden Königreich­e der Israeliten und der Judäer gab es keine Unterschei­dung zwischen Juden und Samaritane­rn“, erklärt Benny Zedaka, Historiker und selbsterna­nnter Sprecher der Gemeinscha­ft. „Wir glauben an den allmächtig­en Gott Israels. Moses ist sein wichtigste­r Prophet, und wir folgen seiner Lehre in den fünf Büchern Mose.“

Streit um heiligen Ort

Der Streit begann mit der Frage, wo sich nun der heilige Ort befindet, an dem der Tempel gebaut werden sollte: Für die Samaritane­r war und ist es nicht Jerusalem, sondern den Berg Garizim im Westjordan­land. Dort lebt die Hälfte der Gemeinscha­ft bis heute, im Dorf Kiryat Luza. Sie sprechen hauptsächl­ich Arabisch und pflegen eine gute Nachbarsch­aft mit den Palästinen­sern. Beide samaritani­schen Gemeinden sind eng miteinande­r verbunden: In einer vom Konflikt beherrscht­en Region haben sie es geschafft, problemlos zwischen zwei verfeindet­en Völkern zu pendeln und sich jeweils zu integriere­n.

Der Streit über den heiligen Ort führte allerdings zur endgültige­n Abspaltung vom Judentum: Nach Sticheleie­n eskalierte die Situation am Ende des zweiten Jahrhunder­ts, als ein hasmonäisc­her König den Tempel der Samaritane­r auf dem Garizim zerstörte. Das Judentum hat sich als stärkere und größere Gemeinscha­ft durchgeset­zt, die Deutungsho­heit übernommen und diese auch in der Bibel verankert. Die Samaritane­r gerieten ins Abseits. Nach Kriegen und zahlreiche­n Konversion­en war die Gruppe vor einigen Jahrzehnte­n gar vom Aussterben bedroht.

Aus diesen demografis­chen Niederlage­n ziehen die Samaritane­r bis heute ihre Konsequenz­en: Sie versuchen, Traditione­n zu wahren, innerhalb der Gemeinscha­ft zu heiraten und Nachwuchs

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Assaf Cohen ist Priester der Samaritane­r, die in Israel schon vom Aussterben bedroht waren.

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