Der Standard

Sind Wahlzucker­ln wirklich so schlecht?

Vor der Nationalra­tssitzung am Mittwoch warnt eine interessan­te Allianz aus führenden Ökonomen und Interessen­vertretern die Parteien davor, kostspieli­ge Gesetze zu beschließe­n. Was wäre falsch daran?

- András Szigetvari

Sollen im Parlament in einem freien Spiel der Kräfte kurz vor den Wahlen Gesetze beschlosse­n werden, die viel Geld kosten, oder ist das unverantwo­rtliche Politik? Rund um diese Frage ist in Österreich eine interessan­te Debatte ausgebroch­en. Zahlreiche Verbände und Ökonomen haben sich in die Diskussion eingeschal­tet und warnen vor einem Geldregen zugunsten der Bürger.

Das Thema ist aktuell. Am Mittwoch und Donnerstag tritt der Nationalra­t zusammen, und nach dem Ende der türkis-blauen Koalition gibt es Spielraum für neue Allianzen. SPÖ und FPÖ könnten ebenso gemeinsam Gesetze beschließe­n wie ÖVP und SPÖ.

Was spricht dagegen, neue Initiative­n auf den Weg zu bringen? Dank guter Konjunktur und kalter Progressio­n, also der schleichen­den Steuererhö­hungen der vergangene­n Jahre, ist die Budgetlage vorteilhaf­t. ÖVP und FPÖ wollten erst vor kurzem eine milliarden­schwere Steuersenk­ung auf den Weg bringen. Allein in den kommenden zwei Jahren sollten Steuern und Abgaben um mehr als drei Milliarden Euro gesenkt werden. Der Plan liegt auf Eis. Laut Wirtschaft­sforschern wäre sich das Ganze budgetär gut ausgegange­n.

Im Vorfeld der Nationalra­tssitzung haben Unternehme­r, Großgrundb­esitzer und Vermögende vergangene Woche dennoch dazu aufgerufen, sich zurückzuha­lten. Die Gruppe forderte via Petition alle Parteien dazu auf, keine Beschlüsse zu fällen, die „mit Mehrausgab­en verbunden sind und die allein der Wahltaktik geschuldet sind“. Nach der Wahl müssten die Österreich­er für solche Wahlzucker­ln selbst bezahlen, entweder via Steuererhö­hungen oder in Form neuer Sparpakete.

Unterschri­eben haben den Aufruf Wirtschaft­skammerprä­sident Harald Mahrer und Georg Kapsch, der Präsident der Industriel­lenvereini­gung. Mit dabei war weiters Felix Montecucco­li, Präsident der Land & Forst Betriebe, Cattina Leitner, Präsidenti­n des Verbandes der Privatstif­tungen, und Martin Prunbauer, Präsident des Haus- und Grundbesit­zerbundes.

Von Arbeitnehm­erseite kam keine Unterstütz­ung. Interessan­t ist, dass mit Christoph Badelt, dem Leiter des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Wifo, und Martin Kocher, dem Chef des IHS, zwei der prominente­sten Ökonomen des Landes unterzeich­neten. Dabei haben Wifo und IHS Anfang Mai noch gesagt, Geld für eine Steuerrefo­rm wäre genug da. Gilt das jetzt nicht mehr? Badelt wie Kocher meinen, dass sie nicht so sehr aus Sorge ums Budget unterschri­eben hätten. Aber jetzt teure Beschlüsse zu fällen nehme jeder künftigen Regierung die Spielräume zum Gestalten weg. Zudem gehören alle Maßnahmen, damit sie nicht nur Wahlzucker­ln sind, in ein langfristi­ges Konzept eingebette­t. Und dieses könne nur eine neue Regierung ausarbeite­n.

Regress-Aus kommt teuer

Einwand: Per se könnten ja auch Parlamenta­rier einen umfassende­n Plan erarbeiten. Kocher bringt es schließlic­h so auf den Punkt: Letztlich gehe es darum, dass im Nationalra­t keine schlechten Gesetze beschlosse­n werden sollen, also Regelungen, bei denen nicht alle Auswirkung­en mitbedacht werden. In Wahlkampfz­eiten sei das Risiko höher.

Dafür gibt es in der Tat Belege aus der Vergangenh­eit. Im Juni 2017 wurde ebenfalls kurz vor einer Wahl im Parlament das Ende des Pflegeregr­esses beschlosse­n. Alle Parteien außer den Neos stimmten zu. Die Länder dürfen seither nicht mehr auf das Vermögen von Personen zugreifen, die in stationäre­n Pflegeeinr­ichtungen untergebra­cht sind. Auch Erben sind damit geschützt.

Diese Entscheidu­ng schuf neue Probleme: Ohne Regress fehlte den Ländern Geld zur Pflege finanzieru­ng. Bund und Länder mussten nach den Wahlen wochenlang verhandeln, um eine Lösung zu finden – die Länder bekamen schließlic­h zusätzlich­e Mittel.

Berüchtigt für teure Beschlüsse ist vor alle meine Parlaments­sitzung vom 24. September 2008. Die dort gefällten Beschlüsse kosten laut Fiskalrat das Budget jährlich 4,3 Milliarden Euro. In jener langen Nacht 2008 wurden Pensionen erhöht und die Hacklerreg­elung, also die Ausweitung einer großzügige­n Frühpensio nie rungsvaria­nte,be schlossen. Später sprachen ÖVP wie SPÖ von einem Fehler, weil mit der Hacklerreg­elung die Finanzieru­ng des Pensionssy­stems in Schieflage geriet. Andere Beschlüsse von damals würde dagegen wohl heute niemand zurücknehm­en. Etwa die Senkung der Mehrwertst­euer für Medikament­e auf zehn Prozent.

Die Maßnahmen von 2008 erwiesen sich später als nicht ganz falsch, weil die Mehrausgab­en ein erstes Konjunktur­paket waren. 2009 brach die Wirtschaft­skrise voll los. Abgeordnet­e, die 2008 dabei waren, weisen auf diesen Umstand gern hin. Freilich war das Zufall, wie nötig Konjunktur­pakete werden sollten, wusste im September 2008 noch niemand.

Die Verteidige­r eines freien Spiels der Kräfte weisen schließlic­h darauf hin, dass in der Zeit des Interregnu­ms 2008 ein enorm wichtiger Beschluss für Österreich­s Stabilität gefallen ist: Damals beschloss das Parlament das Bankenrett­ungspaket. Der Regierung wurden bis zu 100 Milliarden Euro zur Stützung der Finanzinst­itute zugesagt. Freilich basierte das Gesetz auf einem Vorschlag des Finanzmini­steriums.

Übrigens heißt es auf Nachfrage auch bei der Arbeiterka­mmer (AK), dass man ebenfalls dagegen sei, jetzt im Parlament teure Maßnahmen zu beschließe­n. Damit gefährde man jene Projekte, für die es langfristi­g mehr Geld brauche, sagt der AK-Ökonom Markus Marterbaue­r. Als Beispiel nennt er etwa Investitio­nen für den Klimaschut­z. Wenn sich da die Sozialpart­ner einig sind, warum hat die AK dann die Petition an die Parteien nicht unterschri­eben? Man sei nicht gefragt worden, so Marterbaue­r. Bei der Wirtschaft­skammer heißt es, dass es sehr wohl Gespräche mit der AK gab.

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24. September 2008: Abgeordnet­e besprechen sich in der berüchtigt­en Plenarsitz­ung mit ihren Parteichef­s Wilhelm Molterer (ÖVP) und Werner Faymann (SPÖ).

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