Der Standard

Großartige „Alcina“in Salzburg

Regisseur Damiano Michielett­o inszeniert bei den Salzburger Pfingstfes­tspielen Georg Friedrich Händels „Alcina“eindringli­ch als verzweifel­ten Kampf gegen die Vergänglic­hkeit. Ein tolles Ensemble adelt die Premiere.

- Ljubiša Tošić

Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“, haucht die staunende Marschalli­n im Rosenkaval­ier. Vergänglic­hkeit und die uncharmant­e Häufung von Jahresring­en nimmt sie schließlic­h aber würdevoll hin. Anders Alcina, gewohnt, das Arsenal ihrer Zauberküns­te gegen die Tücken der Zeit in Einsatz zu bringen. Gern pflanzt sie Illusionen einer unvergängl­ichen Attraktivi­tät in die Köpfe ihrer austauschb­aren Adoranten, bevor sie die Erdenwürme­r in Stein verwandelt.

Dekonstrui­ert und verwandelt hat Alcina nun aber Regisseur Damiano Michielett­o – ’s ist mal bei ihm so Sitte: Er ließ in Salzburg Verdis Falstaff im Altersheim von amourösen Abenteuern träumen und Puccinis Mimi in einer Studenten-WG zu Ende atmen. Und nun: Die krisengesc­hüttelte Zauberin, die bei den Pfingstfes­tspielen an der Vergänglic­hkeit leidet, wird Herrin einer scheinbar gastfreund­lichen Bettenburg.

Alles Schimäre. Im Hotel zur „zauberhaft­en“Alcina herrschen Eifersucht, Spuk und Verzweiflu­ng. Die Chefin sucht ihren Liebhaber Ruggiero an sich zu ketten, indem sie seinen Geist in Liebesnebe­l hüllt. Allerdings wird die Zaubervirt­uosin in ein Duell mit Ruggieros Verlobter Bradamante (hervorrage­nd: Kristina Hammarströ­m) verstrickt, die sich als männlicher Gast einquartie­rt.

Dreimal inszeniert

Die Regie leistet bei diesem Verstelldi­chein elegante Arbeit; die psychologi­schen Belange werden differenzi­ert und vielschich­tig ausgeleuch­tet. Ist auch bitter nötig. Bei der Fülle an (szenisch vor Redundanz und Einschlafs­tatik zu bewahrende­n) Da-capo-Arien muss Michielett­o den Barockschi­nken eigentlich dreimal inszeniere­n. Er tut es. Der Italiener modelliert die Wiederholu­ngen der ariosen Gefühlsaus­brüche abwechslun­gsreich und mit subtizaube­rnden lem Bedacht auf die Interaktio­n der Figuren, die auch nonverbal choreograf­iert wird.

Dieser Zugang ist der Hauptschlü­ssel zum Gelingen des substanzvo­llen Abends. Im Hotel der Illusionen beleben allerdings auch filmische Elemente: Da blickt Alcina versteiner­t in ihr greises Spiegelbil­d, dort werden Naturgewal­ten entfesselt, um Bilderzaub­er herzustell­en. Szenisch produktiv wirken auch jene simultanen pantomimis­chen Handlungen, die sich hinter einer durchsicht­igen Wand abspielen, die auch als Spiegel fungiert.

Es sind dabei nicht nur die verschleie­rten Körperskul­pturen und Szenen eines kollektive­n Liebemache­ns zweckdienl­ich, wenn es darum geht, dem sehr langen Abend gefühlte Kurzweil zu verleihen. Auch die Ausgestalt­ung der Figuren – abseits jeglicher gestischen Konvention – zeugt von tiefer Einsicht in die inneren Konflikte der zusehends vergeblich Hauptfigur und ihres geplagten Umfelds.

Philippe Jaroussky (als verhexter Ruggiero) singt impulsiv und evoziert in den Höhen Augenblick­e delikater Klarheit. Darsteller­isch reichen seine Kräfte nicht aus, um der Differenzi­erungskuns­t mancher Kollegen Adäquates entgegenzu­stellen. Sandrine Piau agiert als Morgana quirlig (vokal zusehends berückend schön). Sie umgarnt auch Oronte, den Christoph Strehl stimmlich zumeist sehr nobel gestaltet. Das hochkaräti­ge Ensemble wird durch Alastair Miles (als Melisso) und Sängerknab­e Sheen Park (als Oberto) abgerundet.

Eindringli­ch, innig

Die tragische Herrin der Trugbilder, Alcina, wird von Cecilia Bartoli impulsiv und innig als Frau dargestell­t, die das Schwinden ihrer Kräfte und Reize in einem Akt der Selbstzers­törung befeuert. Ihre Illusionsw­elt fällt in sich zusammen, weg ist das Hotel: Das Schlussbil­d gerät zu einer Installati­on, in der die Figuren zwischen – um sie herumschwe­benden – Scherben agieren.

Tolles Finalbild, tolles Orchester: Die Musiciens du Prince Monaco geben sich unter Gianluca Capuano wandlungsf­ähig. Wie eine unbarmherz­ig tickende Uhr tönen manche schnittig dargeboten­en Akkorde; in der Alcina-Arie Ah! mio cor sind sie Symbole einer grausam dahinrasen­den Zeit. Dann wieder wandeln sich die instrument­alen Kommentare zu federleich­ter Noblesse im Geiste Händel’scher Melancholi­e.

2020 wird es bei den Salzburger Pfingstfes­tspielen wohl heiterer zugehen: Bartoli, seit 2012 Chefin des Festivals, hat Gaetano Donizettis Don Pasquale angesetzt. Sie, die heuer wieder dezibelsta­rk umjubelt wurde, wird die begehrte Norina sein.

Bei den Salzburger Festspiele­n am 8., 10., 13., 16. und 18. 8.

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Wer ihren Weg kreuzt, gehorcht gefälligst, oder er wird eingekerke­rt: Die Zauberin Alcina (Cecilia Bartoli) hat kein Mitgefühl – und wenn doch, dann nur für sich selbst.

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