Der Standard

Das Expertenmä­rchen

- Thomas Mayer

In zehn Tagen kommen auf Brigitte Bierlein und ihre Regierung Entscheidu­ngen zu, die auf Österreich­s Stellenwer­t auf EU-Ebene sehr konkrete Auswirkung­en haben – direkt und indirekt. Zunächst muss die Bundeskanz­lerin im Kreis der 28 Staats- und Regierungs­chefs über die Spitzenpos­ten der EU mitentsche­iden: in der EU-Kommission, im Europäisch­em Rat, im EU-Parlament, in der Europäisch­en Zentralban­k und im Amt des EU-Außenbeauf­tragten.

Daraus leitet sich dann ab, welches Kommissars­amt der neue Kommission­schef Österreich im August anbieten wird. In der Topliga hat Wien – wieder einmal – keine Kandidaten. Auf solche Posten kommen nur bewährte Politiker oder Spitzenban­ker, vorzugswei­se Ex-Regierungs­chefs, mindestens Minister, die internatio­nal „getestet“sind.

Seit dem EU-Beitritt 1995 geht Österreich leer aus, ExPolitike­r werden unschön „verräumt“. Es liegt auch daran, dass man im Ringen um die EU-Topjobs tragfähige politische Bündnisse über Parteigren­zen hinweg braucht. Man muss Koalitione­n mit anderen (kleinen) Staaten suchen.

Der früheren Höchstrich­terin Bierlein fehlen Erfahrung und Partner. Welche Chancen gibt es beim künftigen EUKommissa­r aus Österreich? Wirtschaft­skammerche­f Harald Mahrer meint, ein starkes Dossier sei wichtiger als die Person. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner forderte, es solle erstmals kein ÖVP-Politiker zum Zug kommen, sondern ein Experte. Die Realität: Die Mitgliedss­taaten kämpfen mit allen Mitteln um die politisch besten Jobs.

Vieles deutet darauf hin, dass die Parteien im Nationalra­t sich nicht auf einen (Ex-)Politiker einigen werden. Eine gute Lösung wäre: Bierlein könnte nach Vorbild ihrer Ministerri­ege auf den höchsten EU-Beamten aus Österreich zugreifen. Das wäre Wolfgang Burtscher, Vizegenera­ldirektor für Forschung in der Kommission. Sie kennt ihn gut, denn er saß 2005 kurz mit ihr im Verfassung­sgerichtsh­of.

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