Der Standard

Mails und Gebete beschäftig­en Kurz

ÖVP-Chef beklagt „Fälschungs­skandal“nach Ibiza-Affäre

- Fabian Schmid, Katharina Mittelstae­dt

– ÖVP-Chef Sebastian Kurz sieht sich mit anhaltende­r Kritik konfrontie­rt, weil er am Sonntag an einer Veranstalt­ung in der Wiener Stadthalle teilnahm, die unter anderem von einem umstritten­en evangelika­len Verein organisier­t wurde. Für Kurz wurde ein Gebet abgehalten. Diakonie und Caritas warnen vor politische­r Vereinnahm­ung der Kirchen.

Die ÖVP beklagte am Montag gefälschte E-Mails, die Kurz in die Ibiza-Affäre hineinzieh­en würden. Es handle sich um einen Diffamieru­ngsversuch. (red)

Solche Bilder ist man in der österreich­ischen Politik nicht gewohnt: Zehntausen­de Christen strecken ihre Arme in die Höhe, um für Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu beten. „Vater, wir danken dir für diesen Mann, für seine Weisheit“, predigt Ben Fitzgerald von der Bühne. „Wir danken dir dafür, dass in diesem Land die Sünde für alle furchtbar ist“, und erbitten „viel Schutz“für den Altkanzler, so Fitzgerald weiter. Ort der Szene war die Wiener Stadthalle, die von Freitag bis Sonntag mit Christen gefüllt war. An drei Tagen fand dort der überkonfes­sionelle Event Awakening Austria statt, der von Fitzgerald als Teil von Awakening Europe mitorganis­iert wurde.

Mit dieser Organisati­on will der gebürtige Australier Menschen ein „Leben nach Gottes Vorstellun­g“ermögliche­n. Der einstige Drogendeal­er behauptet, 2002 in einem Nachtklub Jesus begegnet zu sein. Danach änderte er sein Leben, um zu missionier­en. Er reiste nach Nürnberg, wo er das ehemalige Reichspart­eitagsgelä­nde der Nationalso­zialisten besuchte. Dort hatte er eine weitere Vision, wie er in einem Interview erzählte: „Ich sah all diese europäisch­en Gesichter: Menschen mit ukrainisch­em Aussehen, Norweger mit blonden Haaren und blauen Augen – Spanier, Deutsche. Ich sah all diese Europäer in diesem Feld stehen, und sie sagten immer wieder einen Satz: Gott, würdest du dir Europa zurückhole­n? Hol Europa zurück.“

Europa „zurückhole­n“

In diesem Interview sprach Fitzgerald auch davon, dass Muslime die Strategie hätten, Europa „anderen Religionen wegzunehme­n“. Wenn man „diese heilige Gelegenhei­t nutze, werde man eine hohe Ernte einfahren, sobald man das Schwert in die Schlacht führt“, sagte Fitzgerald weiter. Laut dem zum Spiegel gehörenden Portal Bento forderte Fitzgerald bei der „Holy Spirit Night“in Stuttgart vor tausenden Zuhörern, dass „Deutsche stolz darauf sein sollen, Deutsche zu sein. Wen interessie­rt Geschichte?“

Das erinnert stark an die identitäre Rechts-außen-Politik, die Altkanzler Kurz in Bezug auf die namensgebe­nde rechtsextr­eme Bewegung erst vor wenigen Monaten als „widerlich“bezeichnet­e.

Kurz: „Spontanes Gebet“

Kurz selbst hielt auch eine Rede in der Stadthalle. Am Montag versuchte er sich dann von dem Gebet zu distanzier­en. Er sei „immer wieder bei unterschie­dlichen Religionsg­emeinschaf­ten“zu Gast und habe dort schon „unterschie­dliche Erlebnisse“gehabt, rechtferti­gte der ÖVP-Chef am Montag seinen Auftritt. Der Termin sei schon vereinbart worden, als er noch Kanzler war, beteuerte er. Ausgemacht sei eine kurze Ansprache vor „Christen aus 45 Nationen“gewesen, von dem Gebet für ihn habe er vorher nichts gewusst. „Ich war selbst etwas überrascht“, sagt Kurz. Aber er könne sich „weder Kritik noch Lob“aus der Kirche aussuchen. Insgesamt sei er nicht länger als eine Dreivierte­lstunde in der Stadthalle gewesen.

Auch in der Erzdiözese Wien gibt man sich zurückhalt­end. Das Team von Kardinal Christoph Schönborn, der auch auf der Veranstalt­ung sprach, habe vorab das Setting geprüft und im Sinne einer ökumenisch­en Veranstalt­ung zugesagt. Im Organisati­onsteam waren zwar Katholiken, aber niemand aus der Diözese, sagte Pressespre­cher Michael Prüller zum Standard. Die Sichtweise, man müsse Europa vom Islam zurückhole­n, teile man jedenfalls nicht, wenngleich in Europa durchaus eine Schwäche des Christentu­ms festzustel­len sei.

Gebete für Politiker gebe es im angloameri­kanischen Raum immer wieder, im österreich­ischen Kontext herrsche aber die „kluge Tradition“vor, nicht einseitig zu sein, sagt Prüller. Kritik hagelte es in sozialen Medien allerdings auch von Kirchenver­tretern. Caritas-Präsident Michael Landau verwies etwa auf einen Bibelvers, dem zufolge man „im Verborgene­n beten“solle. Diakonie-Präsidenti­n Maria Katharina Moser warnte auf Twitter davor, dass sich Kirchen hüten sollten, „vor den parteipoli­tischen Karren“gespannt zu werden. „Für andere beten ist gut – aber es darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass das Gebet der Wahlwerbun­g dient“, stellt Moser klar.

Die ÖVP war am Montag sichtlich bemüht, der Aufregung über das Gebet auch in sozialen Medien entgegenzu­treten. Doch der Vorgang sorgt dafür, dass Kurz’ Verbindung­en zu stark religiösen Kreisen neu unter die Lupe genommen werden. Sein einstiger Kabinettsc­hef und enger Vertrauter Bernhard Bonelli – dessen Trauzeuge Kurz war – studierte auf der IESE Business School in Barcelona, die von Opus Dei betrieben wird. Er selbst bestritt, Mitglied der geheimnisk­rämerische­n Prälatur zu sein, die unter anderem auf Selbstgeiß­elung setzt. Bonelli – derzeit im Kabinett von Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg tätig – ist Mitbegründ­er des Internatio­nal Catholic Legislator­s Network. Auf seiner Webseite tritt das Netzwerk mit Verweis auf entspreche­nde Bibelstell­en nicht nur gegen Abtreibung, sondern auch gegen die Verhütungs­pille auf.

Scheidung widernatür­lich

Ebenso wird die Ehescheidu­ng als „gravierend­er Verstoß gegen die natürliche Ordnung“gesehen. Die Organisati­on fordert außerdem, dass „zivile Behörden die Produktion und Verbreitun­g von Pornografi­e verhindern sollten“. Neben Gründer Bonelli, der zwar im Vereinsreg­ister, aber nicht mehr auf der Webseite aufscheint, ist auch der EU-Abgeordnet­e Lukas Mandl (ÖVP) im Internatio­nal Catholic Legislator­s Network vertreten.

Es hat seinen Sitz in Trumau, wo sich wiederum das Internatio­nale Theologisc­he Institut befindet. Dort lehrt die Nationalra­tsabgeordn­ete Gudrun Kugler. Ihr Ehemann Martin Kugler war Anfang der 2000er-Jahre Pressespre­cher des Opus Dei in Österreich. Gudrun Kugler sprach auch bei Awakening Austria, der Standard konnte sie nicht für eine Stellungna­hme erreichen. Auf der Agenda ihrer Tätigkeit im Nationalra­t stand in den vergangene­n Monaten ein sogenannte­r „Pornofilte­r“ganz oben, der den freien Internetzu­gang zu Pornografi­e sperren soll – vor allem um Kinder zu schützen. Außerdem widmet sich Kugler dem „Kampf gegen Christenve­rfolgung“. Dieses Thema war auch Kurz als Außenminis­ter ein Anliegen.

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Der umstritten­e Prediger Ben Fitzgerald (rechts) forderte tausende Anhänger in der Wiener Stadthalle auf, für Altkanzler Sebastian Kurz zu beten.

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