Der Standard

Zwischen Schilf und Sichtbeton

Immer mehr Menschen in Österreich leben in selbstverw­alteten Wohnprojek­ten. Der Dokumentar­film „Der Stoff, aus dem die Träume sind“stellt einige von ihnen vor. Wir haben mit den Filmemache­rn gesprochen.

- INTERVIEW: Maik Novotny

In ihrem Dokumentar­film Der Stoff, aus dem die Träume sind lassen die Filmemache­rin Lotte Schreiber und der Architekt Michael Rieper die Bewohner von sechs selbstverw­alteten Wohnprojek­ten aus 40 Jahren zu Wort kommen: von den langhaarig­en Pionieren des Projekts Kooperativ­es Wohnen in Graz-Raaba über die Bewohner der Ökosiedlun­g Gänserndor­f und des Wohnprojek­ts am Wiener Nordbahnho­f bis zur jungen Hausbesetz­erszene in Linz. Wir haben mit den beiden gesprochen.

Standard: Woher kam die Idee, einen Film über ein so spezielles Thema zu machen?

Es ist meine persönlich­e Passion, dass alternativ­e Wohnformen ein größeres Publikum bekommen. Ich hatte 2013 schon einen Film über das Wohnprojek­t Sargfabrik Wien gemacht und wollte das Thema weiter verfolgen – aber dieses Mal mit einer profession­ellen Filmemache­rin. Wir haben die gesamte Produktion – Drehbuch, Finanzieru­ng und Regie – zu zweit gestemmt.

Standard: Es fällt auf, dass die Architektu­r im Film eine eher untergeord­nete Rolle spielt.

Wir hatten zwar zwei Architektu­rexpertinn­en interviewt, wollten dann aber keine kommentier­enden „Erklärbäre­n“im Film, sondern die Geschichte von innen heraus erzählen, über die Bewohner selbst, über Prozesse und Befindlich­keiten.

Es geht weniger darum, wie das Haus von außen aussieht, sondern mehr um das Zusammenle­ben: Welche Konflikte gibt es, wie verläuft der Generation­enwechsel, wie viel Arbeit macht das gemeinscha­ftliche Wohnen?

Standard: Wie erklärt sich der poetische Titel des Films?

Zum einen ist es ein Zitat aus Shakespear­es Sturm, zum anderen der Titel eines Kunstwerks, das Marko Lulić an der Fassade der Terrassenh­aussiedlun­g Graz installier­t hat. Außerdem taucht der Begriff des Traums immer wieder im Zusammenha­ng mit Wohnen auf.

Standard: Das früheste Projekt stammt aus dem Jahr 1975, das jüngste aus dem Jahr 2015. Wie hat sich das gemeinscha­ftliche Wohnen in Österreich verändert?

Es hat sich profession­alisiert, die Prozesse gehen schneller. Heute kann und will niemand acht Jahre planen und diskutiere­n, bis er endlich einzieht. Es geht heute sicher auch weniger ideologisc­h zu als bei den ersten experiment­ellen Projekten, die aus dem Geist der 1960er-Jahre entstanden. Wir wollten diese frühen Beispiele aber auch zeigen, weil vieles schon wieder vergessen wurde und man heute oft das Rad wieder neu erfindet.

Standard: Kollektive­n Wohnformen wie Baugruppen wird oft vorgeworfe­n, sie seien nur für eine bildungsbü­rgerliche Elite relevant.

Es kommen schon alle aus einer bildungsaf­finen Schicht. Ein Straßenarb­eiter mit fünf Kindern hat auch nicht die Zeit, sich nach Feierabend noch einmal vier Stunden eine Gruppendis­kussion anzutun.

Das ändert sich aber, weil heute auch Leute, für die bisher das Einfamilie­nhaus das Wohnideal war, umdenken.

Standard: Wohnen kommt im Film fast durchweg idyllisch daher: Katzen, Kinder, Gärten und Badeteiche, Kochen im Gemeinscha­ftsraum. Abgesehen von der brutalisti­schen Terrassenh­aussiedlun­g Graz wirkt das fast dörflich.

Die Assoziatio­n „Dorf“kommt bei vielen Bewohnern vor und regt mich eigentlich auf. Viele gehen ja freiwillig in die Stadt, um der Enge und der sozialen Kontrolle des Dorfes zu entfliehen. Die Frage, wie transparen­t mein Leben für die Nachbarn sein soll, ist ganz zentral.

Es ist den Leuten aber schon bewusst, dass das Dörfliche nicht nur positiv konnotiert ist. Die Balance zwischen Privatheit und Kontrolle ist nicht einfach.

Standard: Sind gemeinscha­ftliche Wohnformen Lösungen für die Wohnungskr­ise?

Baugruppen sind kein System für den Massenwohn­bau, das werden immer Einzelproj­ekte

sein.

ist eine österreich­ische Filmemache­rin und Künstlerin. U. a. „Suedstadt“und „Sabaudia“.

ist Architekt und Grafikdesi­gner. Er beschäftig­t sich mit dem Spannungsf­eld Privatheit – Öffentlich­keit.

Am 18. 5. um 19.30 im Wiener Stadtkino

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LOTTE SCHREIBER MICHAEL RIEPER
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