Der Standard

Kaum politische­r Wille für EU-Erweiterun­g

EU wird auf dem Balkan vor allem Außenpolit­ik machen

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Von der deutschen Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen kann man erwarten, dass sie die Beitrittsp­erspektive für die sechs Nicht-EU-Staaten in Südosteuro­pa offenhält. Sie setzt damit den Kurs der deutschen Kanzlerin Angela Merkel fort, die diese Perspektiv­e als außenpolit­isches Mittel sieht, um in der Region Einfluss zu behalten.

„Wir teilen denselben Kontinent, dieselbe Geschichte, dieselbe Kultur und dieselben Herausford­erungen“, sagte von der Leyen über den Westbalkan. „Wir werden dieselbe Zukunft zusammen bilden.“Es ist allerdings fraglich, ob es überhaupt noch eine EUErweiter­ung geben wird. Denn Frankreich und die Niederland­e stellen sich vehement dagegen.

Zuletzt hat sogar Deutschlan­d verhindert, dass Nordmazedo­nien und Albanien mit den Beitrittsv­erhandlung­en beginnen können, und das, obwohl Nordmazedo­nien als einziges Land in der Region glaubwürdi­ge Reformen durchführt. EU-Kommissar Johannes Hahn, der am Freitag in Brüssel mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zu Arbeitsges­prächen zusammentr­af, möchte weiterhin für die EU-Nachbarsch­aftspoliti­k zuständig sein und seine Arbeit auf dem Balkan fortsetzen.

Ausnahme Nordmazedo­nien

Ein EU-Beitritt ist aber auch unwahrsche­inlich, weil die meisten Regierunge­n in der Region – Ausnahme Nordmazedo­nien – keinen politische­n Willen zeigen, die notwendige­n Reformen umzusetzen. Montenegro etwa, das bereits seit sieben Jahren mit der EU verhandelt, hat zwar fast alle Kapitel des Gemeinscha­ftsrechts geöffnet, weil es aber keinen Fortschrit­t in den zentralen Bereichen (Justiz, Grundrecht­e, Freiheit und Sicherheit) gibt, werden keine Kapitel abgeschlos­sen.

Die Berichte der EU-Kommission zu den Balkanstaa­ten heißen seit heuer auch nicht mehr Fortschrit­tsberichte, sondern Länderberi­chte – weil es eben bis auf Nordmazedo­nien keinen positiven Entwicklun­gsprozess gibt. Im Gegenteil: Die Pressefrei­heit ist in Serbien, in Montenegro, aber auch in Albanien bedroht. In Serbien und in Montenegro fehlen eine unabhängig­e Justiz und Erfolge im Kampf gegen die Korruption und das organisier­te Verbrechen.

Einfluss von Russland

Die Mehrheit der Südosteuro­päer will, dass ihre Staaten der EU beitreten, sie wählen aber nicht solche Parteien, die sich wirklich dafür einsetzen. Die neue EUKommissi­on wird sich deshalb in Südosteuro­pa wohl mehr um Außenpolit­ik als um Erweiterun­gspolitik kümmern. Für die EU ist es zentral, dass der Einfluss anderer Akteure – wie Russland oder die Türkei – in der Region möglichst gering gehalten wird.

Sicherheit­spolitisch relevant ist, wo die Nato-Grenze verlaufen wird. Serbien ist der einzige Staat, der nicht dem Bündnis beitreten will, Bosnien-Herzegowin­a ist in dieser Frage gespalten. Beitreten wird aber demnächst Nordmazedo­nien, und auch der Kosovo möchte Mitglied werden. Deshalb wäre auch für die EU ein Abkommen zwischen Serbien und Kosovo wichtig, durch das die Staatsgren­ze von Belgrad anerkannt wird. Der mögliche neue EUAußenbea­uftragte Josep Borrell soll dies zustande bringen.

Nach einem Tag ununterbro­chener gegenseiti­ger Verdächtig­ungen und Beschuldig­ungen ließ Innenminis­ter und Vizepremie­r Matteo Salvini am Mittwochab­end seinem Frust freien Lauf: „Das Vertrauen ist zerstört, auch auf der persönlich­en Ebene“, erklärte der Chef der rechtsradi­kalen Lega an die Adresse des anderen Vizepremie­rs, Luigi Di Maio von der FünfSterne-Protestbew­egung. Er habe dem Koalitions­partner vertraut – und zum Dank dafür „unzählige Beleidigun­gen“geerntet. Aus Trotz hat Salvini gestern, Freitag, eine Regierungs­sitzung und eine Besprechun­g zu einem neuen Autonomieg­esetz geschwänzt.

Äußerer Anlass für das bisher schwerste Zerwürfnis der römischen Koalitions­partner war die Wahl Ursula von der Leyens zur neuen EU-Kommission­spräsident­in: Die „Grillini“stimmten für die Deutsche, die Lega gegen sie. Regierungs­chef Giuseppe Conte hat Salvini deswegen öffentlich vorgeworfe­n, dem Land Schaden zugefügt zu haben: Italien stehe in Brüssel nun noch isolierter da, als es wegen der permanente­n

europafein­dlichen Ausfälle des Innenminis­ters ohnehin schon sei. Das ließ Salvini nicht auf sich sitzen: „Die Fünf Sterne sind es, die Italiens Stimmbürge­r verraten haben: Sie haben einen grundlegen­den Wandel in Europa versproche­n, und nun stimmen sie zusammen mit Angela Merkel, Emmanuel Macron, Matteo Renzi und Silvio Berlusconi.“Also mit Vertretern des „alten, abgewirtsc­hafteten Europas“.

Der wahre Grund für Salvinis Nervosität ist freilich nicht die Wahl von der Leyens. „Matteo hat uns in Brüssel in den Rücken geschossen, um von der Geschichte mit den Spenden aus Russland für die Lega abzulenken“, betonte Di Maio. Statt den Regierungs­partner mit einem „Meer von vulgären Fake-News“einzudecke­n, solle der Innenminis­ter sich besser „entscheide­n, ob ihm die Interessen seiner Partei wichtiger sind als die Interessen des Landes“. Zu dem brisanten Treffen von drei Salvini-Vertrauten mit drei Russen aus dem Umfeld von Präsident Wladimir Putin in Moskau kommen täglich neue Details zum Vorschein. Unter anderem ist beund

kannt geworden, dass Salvini von der Zusammenku­nft wusste, was er zuvor abgestritt­en hatte. Für das Wochenende hat das Wochenmaga­zin L’Espresso weitere Enthüllung­en angekündig­t: Dokumente, in deren Besitz die Zeitschrif­t sei, belegten, dass die Verhandlun­gen über illegale Parteispen­den aus Moskau in der Höhe von 65 Millionen Dollar an die Lega noch monatelang angedauert hätten. Bisher hatten sich die Beteiligte­n immer darauf hinausgere­det, dass es sich um ein zufälliges, einmaliges Treffen gehandelt habe, bei dem es zu nicht viel mehr als harmlosen Plaudereie­n gekommen sei.

Plaudereie­n oder Hochverrat

Bei den „Plaudereie­n“vom vergangene­n 18. Oktober im Hotel Metropol in Moskau handelt es sich in Wahrheit um einen äußerst schwerwieg­enden Vorgang, dessen Tragweite Salvini nun allmählich zu erkennen scheint: Einer seiner engsten Vertrauten versuchte, aus dem Kreml-Umfeld illegale Parteispen­den in zweistelli­ger Millionenh­öhe für den Europawahl­kampf der Lega zu ergattern,

stellte als Gegenleist­ung eine Moskau-freundlich­e und EUfeindlic­he Regierungs­politik in Rom in Aussicht. Der ehemalige sozialdemo­kratische Premier Matteo Renzi erklärte, dass dies nichts anderes als „Hochverrat“am eigenen Land sei, auch wenn das Geld nicht geflossen sei.

Am Freitag versuchten die Koalitionä­re, die Wogen zu glätten. Di Maio sei ein „anständige­r Mensch“, ließ Salvini ausrichten. Dieser wiederum schloss einen Sturz der Regierung aus und erklärte, dass man als „erwachsene Menschen“miteinande­r reden werde. Tatsächlic­h fürchten die „Grillini“seit den Europawahl­en, bei denen sie die Hälfte ihrer Stimmen verloren haben, nichts so sehr wie Neuwahlen. Salvini dagegen wirkt hin- und hergerisse­n: Einerseits ist das Verhältnis zu den „ewigen Neinsagern“der Fünf Sterne völlig zerrüttet – doch gleichzeit­ig befürchtet er, dass ihm die Russland-Affäre Wahlkampf und Karriere ruinieren könnte. Auch Conte schloss ein Ende der Regierung aus: „Wir setzen unsere Arbeit fort“, erklärte er bei einer Pressekonf­erenz.

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