Der Standard

Gegen Rackete, Salvini und Mafia

Italiens Staatsanwa­lt Patronaggi­o scheut heikle Fälle nicht

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Carola Rackete hat Italien verlassen. Die deutsche Kapitänin ist laut Sea-Watch gen Heimat aufgebroch­en, nachdem sie am Donnerstag in Sizilien erneut von der Staatsanwa­ltschaft befragt worden war. Dabei ging es in erster Linie um den Vorwurf der Begünstigu­ng der illegalen Einwanderu­ng im Zuge ihrer Einfahrt mit der Sea-Watch 3 in den Hafen von Lampedusa, um 40 Flüchtling­e an Land zu bringen.

Chefankläg­er Luigi Patronaggi­o hatte zuvor wie angekündig­t seine Beschwerde gegen die Freilassun­g Racketes aus der Untersuchu­ngshaft eingereich­t. Dennoch eignet sich der 60-Jährige denkbar schlecht dazu, einfach als SalviniFan abgetan zu werden. Patronaggi­o hatte vor einem Jahr auch ein Strafverfa­hren wegen Freiheitsb­eraubung gegen Innenminis­ter Matteo Salvini eingeleite­t, weil dieser ein Schiff der eigenen Küstenwach­e, die Diciotti, mit über 170 Flüchtling­en fast zwei Wochen lang vor dem Hafen von Catania blockiert hatte.

Mehrere Morddrohun­gen

Einige Monate später hat Patronaggi­o die Beschlagna­hmung eines NGO-Schiffs angeordnet, weil er darin die einzige Möglichkei­t sah, die von Salvini auf dem Schiff blockierte­n Flüchtling­e an Land gehen zu lassen.

Salvini und seine Anhänger haben noch vor kurzem Gift und Galle gegen Patronaggi­o gespuckt – der erhielt mehrere anonyme Morddrohun­gen. Salvini, der vom Prinzip der Gewaltente­ilung nicht viel zu halten scheint, erklärte, dass sich Patronaggi­o wählen lassen solle, wenn er mit Entscheide­n der Regierung und des Parlaments nicht einverstan­den sei.

Darauf erwiderte der Staatsanwa­lt in einer parlamenta­rischen Anhörung zum Fall Rackete, dass es für die Justiz schwierig geworden sei, in einem derart aufgeheizt­en Klima noch Entscheide zu fällen, ohne Angst vor eigenen Fehlentsch­eiden zu haben.

Angst kennt Patronaggi­o normalerwe­ise nicht: Er gilt als unerschroc­kener Ermittler, der sich in seiner langen Karriere schon mit unzähligen Mächtigen und Luigi Patronaggi­o steht wegen seiner Arbeit als Staatsanwa­lt seit über 20 Jahren unter Polizeisch­utz. Zuletzt erhielt er mehrere anonyme Morddrohun­gen. auch mit der Mafia angelegt hat. Seine ersten Erfahrunge­n sammelte der ehemalige Postangest­ellte Anfang der 1990er-Jahre im Ermittler-Pool der beiden 1992 von der Cosa Nostra ermordeten Mafiajäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino in Palermo. Patronaggi­o lebt seit über zwanzig Jahren unter Polizeisch­utz.

Verständni­s für Migranten

„Gerade in einer Grenzregio­n wie Agrigent, zu der auch Lampedusa gehört, muss man dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich bei den Migranten um Menschen handelt, die unter großem Leidensdru­ck ihr Land verlassen, um vor Krieg und Elend zu fliehen. Das sollte Grund genug sein, sie nicht als unsere Feinde zu betrachten“, betonte Patronaggi­o.

In der Anhörung im Parlament hat der Staatsanwa­lt auch darauf hingewiese­n, dass nur etwa ein Zehntel aller Migranten auf privaten Rettungssc­hiffen nach Italien gelangten und dass es deswegen unsinnig sei, wenn sich die Politik allein auf die NGOs einschieße. Seine Kritik an Salvini hindert Patronaggi­o aber nicht daran, auch gegen Flüchtling­sretter zu ermitteln, wenn er der Überzeugun­g ist, dass sie Gesetze verletzt haben. (straub)

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