Der Standard

Buhrufe vom Ballermann

Mallorca klagte kürzlich über zu wenige Besucher. Aber noch immer kommen so viele, dass zugleich ständig neue Initiative­n gegen Overtouris­m entstehen. Tatsächlic­h beschränkt sich der Massenanst­urm auf wenige Orte. An vielen schönen Ecken der Balearenin­sel

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Titel wie „Am Ballermann schrillen die Alarmglock­en“zirkuliert­en jüngst in deutschspr­achigen Medien. Es werden Hoteliers zitiert, deren Hotels im Juni nur halb ausgelaste­t waren, 15 Prozent weniger als im Vorjahr. Sie sprechen von einem „Einbruch“, fürchten um das Geschäft und haben begonnen, die Preise zu senken. Bleiben Mallorcas Strände diesen Sommer leer? Wohl kaum.

Die Insel und ihre Nachbarn, vor allem Ibiza, hatten zuletzt mit Überfüllun­g zu kämpfen, neudeutsch Overtouris­m. 16,6 Millionen Touristen, eine absolute Rekordzahl, haben 2018 auf den Balearen Urlaub gemacht. Da ist ein erwarteter Besucherrü­ckgang für den Hochsommer von gut drei Prozent kein Drama, sondern ein Segen, finden Einheimisc­he wie Jaume Garau oder Joe Holles.

Garau ist auf der Insel geboren und lebt seit 30 Jahren in Palmas Altstadt, in einer Straße, „wo früher 95 Prozent der Nachbarn Einheimisc­he waren, jetzt sind es noch gefühlt 20 Prozent“. Rechts neben ihm wohnen Schweden, links Deutsche und gegenüber Briten. „Kosmopolit­ische Städte finde ich gut“, sagt er, „aber irgendwas stimmt nicht mehr.“

Der gebürtige Brite Joe Holles lebt seit seinem fünften Lebensjahr in Valldemoss­a, „dem Dorf mit einer der höchsten Touristenz­ahlen pro Einwohner weltweit“, sagt der 34-Jährige. Valldemoss­a hat 2000 Einwohner, mehr als eine Million Menschen besuchen es pro Jahr. Der Alltag sei schwierig, sagt Holles, „die Wanderwege erodieren, auf den Straßen kommt man nicht mehr durch“.

Immer mehr Wahlmallor­quiner

Urlauber und auch Wahlmallor­quiner verändern die Insel. Knapp ein Viertel der Immobilien­käufer auf der Insel sind Ausländer, weiß Natalia Bueno, Sprecherin des Maklerverb­andes. In einem Interview mit der Mallorca Zeitung sagte sie, die Preise auf Mallorca seien in den vergangene­n beiden Jahren bei den Mieten um bis zu 50 Prozent und bei den Kaufpreise­n um rund 20 Prozent gestiegen.

Jaume Garau und Joe Holles wollen das nicht weiter mit ansehen. Sie sind Mitglieder der Bürgervere­inigung Iniciative­s XXI, die sich dem Schutz der Insel verschrieb­en hat und dabei „nicht tourismusf­eindlich“ist, wie Holles betont: „Wenn man Kritik übt, heißt das nicht, dass man alles ablehnt.“Nach einem „Gentrifizi­erungs-Observator­ium“mit Fakten zum Ausverkauf von Palmas Boomvierte­ln wie Santa Catalina oder El Molinar hat die Gruppe dem Rathaus und der Balearenre­gierung nun ein „Manifest gegen Kreuzfahrt­schiffe“vorgelegt. Mehr als 30 Vereinigun­gen und Persönlich­keiten des öffentlich­en Lebens haben es unterzeich­net, auf der Plattform „We Move“sind bislang knapp 9000 Unterschri­ften zusammenge­kommen.

Garau und seine Mitstreite­r fordern, die Zahl der Kreuzfahrt­schiffe im Hafen auf eines pro Tag oder auf 4000 Passagiere zu begrenzen. „Es geht uns vor allem um die Megakreuze­r“, sagt Garau, „wenn da mehrere zusammenko­mmen, spucken die zigtausend Leute auf einmal aus.“Ein Teil strömt zur Kathedrale, andere steigen in den Bus und besichtige­n Valldemoss­a, wo sie durch kopfsteing­epflastert­e Gassen ziehen, die mit Souvenirsh­ops und Restaurant­s gesäumt sind.

Gut erzogene Kreuzfahre­r

Kreuzfahrt­schiffe seien nur ein kleiner Teil des Problems, sagt Alfredo Serrano, Sprecher für Spanien im internatio­nalen Kreuzfahrt­verband Clia. Nur sechs bis acht Prozent der Mallorca-Urlauber kämen mit dem Schiff, sagt er. „Und sie sind gut erzogen, kommen am liebsten im Mai und Oktober und geben Geld aus.“Die Stadt könne bei der Abwicklung der Landgänge einiges verbessern, meint er. „Kreuzfahrt­touristen sind mittlerwei­le die einzigen, bei denen man ein Jahr im Voraus weiß, wie viele wann kommen werden.“

Joe Holles hat die Diskussion um Mallorcas Zukunft vergangene­s Jahr mit dem Dokumentar­film Overbookin­g vertieft. Er lief drei Monate in Palma im Kino, anfangs war er täglich ausverkauf­t: der erfolgreic­hste spanische Dokumentar­film aller Zeiten. „Wir haben alle zu Wort kommen lassen“, sagt Holles, der den Film produziert hat, „denn es geht uns alle an.“Für ihn steht fest: Mallorca braucht weniger Masse und mehr Qualität, sowohl beim Angebot als auch bei den Besuchern. Das brauche Mut, den er bei vielen Unternehme­rn vermisst. „Sie bremsen Mallorcas Modernisie­rung.“

Joe Holles’ nächster Film soll übrigens Rethinking heißen. Dann will er über die reine Bestandsau­fnahme hinausgehe­n und neue Konzepte für ein würdiges Miteinande­r von Mallorquin­ern und Touristen vorstellen.

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