„Kurz hat die Interessen der FPÖ besser bedient“
Schon über die erste schwarz-blaue Regierung Anfang des Jahrtausends hat Emmerich Tálos einen Sammelband herausgegeben. Sein neues Buch widmet sich der geplatzten Kurz-Strache-Koalition.
Mein Sohn rief mich an und sagte: „Den Strache hat’s erwischt.“Ich habe dann beim Verlag die Notbremse gezogen. Emmerich Tálos
Eigentlich wollte Emmerich Tálos eine Zwischenbilanz der mittlerweile abgewählten ÖVP-FPÖ-Koalition in Druck geben. Straches Eskapaden auf Ibiza bescherten dem Politologen jedoch ungeahnte Überstunden.
Standard: Sie hatten drei Wochen nach dem Ibiza-Video bereits eine 500 Seiten starke Gesamtbilanz der schwarz-blauen Regierung in Buchform parat. Geben Sie’s zu, Sie wussten, dass die Regierung platzen wird!
Tálos: Nein, im Gegenteil! Ich habe schon seit 2017 daran gearbeitet, mit Kollegen eine Zwischenbilanz der Wiederauflage von SchwarzBlau herauszubringen. Das hat sich dann zeitlich stark verzögert, bis ich dann am 17. Mai dieses Jahres die Druckfreigabe an den Verlag schicken konnte.
Standard: Der Tag des Ibiza-Videos ...
Tálos: Genau. Mein Sohn rief mich am Abend aufgeregt an und sagte: „Den Strache hat’s erwischt.“Ich habe daraufhin beim Verlag sofort die Notbremse gezogen. Tagelang war ich dann vor allem damit beschäftigt, die Zeiten im Buch von der Gegenwartsform auf die Vergangenheitsform zu korrigieren. Inhaltlich mussten wir zudem die These ändern, dass die Kurz-Regierung stabiler ist als Schwarz-Blau I.
Standard: Woran lag dieser Eindruck von Stabilität?
Tálos: Vor allem an der FPÖ, die ab 2017 weitaus geschlossener agiert hat als ab 2000. Bei den Landtagswahlen nach der Regierungsbildung des Jahres 2000 hat die FPÖ teils dramatisch verloren, es gab beträchtliche Konflikte innerhalb der Partei, was sich auch in innerkoalitionären Querelen niedergeschlagen hat. Dieses Mal war davon überhaupt nichts zu merken – 2018 hat die FPÖ bei den Landtagswahlen stark abgeschnitten, und es gab keine Querschüsse wie einst von Haider. Das hat auch damit zu tun, dass Herr Kurz sowohl die inhaltlichen als auch die machtpolitischen Interessen der FPÖ besser bedient hat als Schüssel und sie mit wichtigen Ministerposten ausgestattet hat, insbesondere dem Innenministerium.
Kann man sagen, dass die Ausgangsbedingungen – Stichwort Konjunkturlage – 2017 wesentlich besser waren als 2000?
Standard:
Tálos: Ja, absolut, ich würde aber nicht nur auf die ökonomischen Bedingungen abstellen. Auf EUEbene war die Konstellation grundverschieden. 2017 war die Regierungsbeteiligung der FPÖ nicht mehr im Fokus, weil in Europa rechte und rechtsradikale Parteien eine ungleich stärkere Position als im Jahr 2000 hatten. Auch wenn Schüssel es nicht zugegeben hat, die Sanktionen der 14 EULänder haben enormen Druck auf seine Regierung erzeugt. Zwar hat man sich als Opfer inszenieren können, aber der internationale Druck und die Donnerstagsdemonstrationen haben es der Regierung nicht leichtgemacht. Dieses Mal gab es in der EU keine Distanz zur Kurz-Strache-Regierung, dementsprechend konnte sie sich auch rhetorisch weniger als Opfer von Brüssel darstellen.
Standard: Das könnte sich noch ändern, wenn sich etwa herausstellen würde, dass die Indexierung der Familienbeihilfe europarechtswidrig ist. Kann man generell sagen, dass die Kurz-Strache-Regierung zwar im Unterschied zu SchwarzBlau I nicht direkt mit EU-Institutionen den Clinch gesucht hat, dafür eher mit europarechtlichen Vorgaben?
Tálos: Es ist sicher auffällig, dass die Frage der Europarechtskonformität in der letzten Regierungsperiode 2017 ff. öfter im Mittelpunkt stand als unter Schüssel, der eher mit dem österreichischen Verfassungsgerichtshof zu kämpfen hatte. Unter dem Motto „Speed kills“hat die Schüssel-Regierung viele Gesetze schnell durchgepeitscht, die dann aber teilweise vom Verfassungsgerichtshof in die Schranken gewiesen wurden. Die geplante Ambulanzgebühr hat der VfGH sogar zweimal aufgehoben. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass der VfGH noch weitere Maßnahmen der Kurz-Regierung aufheben wird, beispielsweise die Reform der Mindestsicherung oder den Eingriff in die Selbstverwaltung bei der Sozialversicherung.
Standard: Die Zusammenlegung der Sozialversicherungen kommt bei Ihnen schlecht weg, weil sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Arbeitgeber ändern. Großen Aufruhr erzeugt das Thema allerdings nicht.
Tálos: Vorerst noch nicht, weil sich die Auswirkungen erst zeigen werden, wenn es die ersten Beschlüsse gibt, die klar zulasten der Arbeitnehmer ausfallen. Es wird wohl zu Leistungskürzungen kommen. Zunächst mögen sich viele denken: „Was interessiert mich, wer dort sitzt, die machen es sich eh aus.“In Wahrheit dient diese Reform jedoch einer Stärkung der Unternehmer und des ÖVP-Wirtschaftsbundes, die ja von der Regierung nicht umsonst mehr Gewicht in den Gremien haben wollten.
Standard: Linke Kritiker haben stets befürchtet, dass die schwarzblauen Regierungen die Arbeitnehmer durch einen Angriff auf die Arbeiterkammer schwächen würden, sei es durch die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft im Sinne der FPÖ oder durch eine Senkung der Kammerumlage. Viel passiert ist aber auch dieses Mal nicht, überrascht Sie das? Tálos: Durchaus, ich hätte mir in der Tat erwartet, dass Kurz und Strache die Gelegenheit nützen und dieses Vorhaben rasch durchziehen würden. In den Nullerjahren hat die Wirtschaftskammer unter Christoph Leitl (Präsident der Wirtschaftskammer 2000 bis 2018, Anm.) noch gebremst, weil Leitl auf eine sozialpartnerschaftliche Vertrauensbasis Wert gelegt hat und eine langfristige Kooperation nicht für kurzfristige Erfolge der Unternehmer aufs Spiel setzen wollte. Harald Mahrer (aktueller Präsident der Wirtschaftskammer,
Anm.) hat sich bisher anders positioniert. Die Vertrauensbasis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen ist weitgehend verlorengegangen. Der FPÖ ist die Arbeiterkammer sowieso ein Dorn im Auge, weil Freiheitliche dort keinen Einfluss haben. Darum hat es mich überrascht, dass die Regierung ihre Ansagen aus dem Regierungsprogramm nicht umgesetzt hat. Ich gehe aber davon aus, dass es in der restlichen Regierungsperiode noch dazu gekommen wäre.
EMMERICH TÁLOS (75) ist Politikwissenschafter. Im LIT-Verlag hat er nun „Die schwarz-blaue Wende in Österreich. Eine Bilanz“herausgegeben.