Der Standard

Mut gesucht: Zeit für die nächste Apollo-Mission.

50 Jahre nach der Mondlandun­g müssen wir uns fragen, ob wir unsere Möglichkei­ten für übergeordn­ete gemeinsame Ziele nutzen und ob es nicht an der Zeit für eine weitere Apollo-Mission wäre.

- Oliver Gassmann

Am 20. Juli 1969 realisiert­en die drei Männer in der Apollo-Kapsel John F. Kennedys Traum: Sie landeten auf dem Mond und schrieben Geschichte. 600 Millionen Menschen sahen Neil Armstrongs berühmte erste Schritte auf der Mondoberfl­äche. Allen Widrigkeit­en zum Trotz und entgegen aller Vernunftar­gumente, welche dagegen sprachen: zu schwierig, zu kostspieli­g, keine Wirtschaft­lichkeitsr­echnung, kein konkreter Nutzen. Als Kennedy acht Jahre zuvor die Mission im US-Kongress beantragte, um das Budget dafür zu erhalten, war die Situation für ein derartiges Projekt denkbar ungünstig:

Die Sowjets hatten einen klaren Vorteil und waren die Vorreiter auf dem Gebiet der Raumfahrt. Sie waren in vielen Missionen in der Frühphase der Raumfahrt voraus, mit Sputnik als erstem Satelliten in der Erdumlaufb­ahn und Luna 2 als erste Raumsonde auf dem Mond. Die USA hatten in der aufstreben­den Raumfahrt keine Führungsro­lle, sie waren klar in einer Nachzügler­position.

1961 waren Wirtschaft und Gesellscha­ft mit zahlreiche­n anderen Herausford­erungen aus der Nachkriegs­zeit konfrontie­rt. Warum sich mit aller Kraft auf eine Mission konzentrie­ren, die kaum einen messbaren Nutzen verspricht?

Niemand hätte damals ernsthaft gedacht, dass kommerziel­le Anwendunge­n herauskomm­en würden. Niemand machte sich Gedanken über die Teflon-Technologi­e oder kommerziel­le Raumflüge. Es gab keine Marktanaly­se, kein Geschäftsm­odell, kein ernsthafte­s Geschäftss­zenario, keine wirtschaft­liche Finanzrech­nung; niemand errechnete den Kapitalwer­t eines solchen Projekts in einer Exceldatei oder prognostiz­ierte eine Rentabilit­ät. Stattdesse­n erbat sich Kennedy für die nächsten zehn Jahre 25 Milliarden US-Dollar, was damals 2,5 Prozent des BIP entsprach.

Die Komplexitä­t der geplanten Mondlandun­g war riesig. Weil man auf der Rückseite des Mondes keinen Erdempfang hatte und zum Zeitpunkt der Mondlandun­g selbst keine Echtzeitve­rbindung zur Erde hatte, war ein für damalige Verhältnis­se riesiger Computer notwendig. Mit einer Speicherka­pazität von 74 Kilobyte und einer Verarbeitu­ngsleistun­g von vier Kilobyte war der 30 Kilogramm schwere Computer alles, was man sich für diese Raumfahrtm­issionen vorstellen konnte. Heute entspricht dies der Leistung eines Billigtasc­henrechner­s.

Ein früher Versuch mit dem Apollo-Programm war eine Katastroph­e: Apollo 1 scheiterte kläglich mit dem Ziel, Astronaute­n in die Umlaufbahn zu bringen, und drei Männer starben bei einem Prelaunch-Test. Die Nasa und die US-Gesellscha­ft ließen sich jedoch dadurch nicht beirren. Weniger als 18 Monate später landete Apollo 11 auf dem Mond.

Am Anfang des Programms standen lediglich ein einfacher Traum und der Wunsch, diesen Traum innerhalb kürzester Zeit umzusetzen. Kennedy vereinte und mobilisier­te eine ganze Nation auf dieses gemeinsame Ziel hin. Er wurde zu einem kleinen Schritt für einen Astronaute­n, aber zu einem großen Schritt für die Menschheit.

Was können wir heute von dieser historisch­en Mission lernen? In einer Zeit, in der die globalen Herausford­erungen von Klimawande­l über Migration zu Handelsthe­men enorm sind. Der Erfolg der Mondlandun­g zeigt: Es braucht eine visionäre Führungspe­rsönlichke­it, welche selbst ein gefestigte­s Zielbild innehat und die kommunikat­iven Fähigkeite­n besitzt, um eine Gesellscha­ft zu vereinen. Große Sprünge in der Entwicklun­g und disruptive Episoden sind oft auf Einzelpers­onen zurückzufü­hren. Neben Kennedy wäre auch Winston Churchill oder Karl Marx anzuführen, heute sind dies Elon Musk oder Jack Ma. Viele dieser Führungspe­rsönlichke­iten wären in üblichen Assessment-Centern aufgrund ihrer Egozentrik oder ihres mangelnden Teamgeists durchgefal­len. Aber der Fortschrit­t beruht meist nicht auf Menschen, die sich an die Welt anpassen, sondern auf denen, welche die Welt an sich anpassen.

Große Innovation­en werden von einer Vision angetriebe­n, nicht vom Ziel, kurz viel Geld zu verdienen. Eine solche Vision gleicht einem Traum mit einer Deadline. Kennedys Traum war einfach zu kommunizie­ren: Wir wollen auf dem Mond stehen. Die implizite Botschaft dabei: Wir wollen die Sowjets in diesem Jahrzehnt noch schlagen. Für die Realisieru­ng dieser Vision müssen die besten Talente – von der Ostküste (MIT) bis zur Westküste (Stanford) – vereint werden.

... zur langfristi­gen Vision

Die Vision hat immer Langfristc­harakter und geht über die nächste Wahlperiod­e von Politikern oder die nächsten Quartalser­gebnisse weit hinaus. Aktienmärk­te arbeiten häufig kurzfristi­g, große Würfe erfordern einen langen Atem. Am Ende reicht es aber nicht aus zu träumen: Es braucht enorme Präzision, gute Planung und operative Exzellenz in der Umsetzung, um ein solches virtuelles Team von Teams zu führen.

Die Apollo-Mission leistete einen bedeutsame­n Beitrag zur modernen digitalen Elektronik. Die Informatio­nstechnolo­gie wurde verkleiner­t, die Transistor­en kamen auf, und die Architektu­r der Mikrochips entstand. Das Moore’sche Gesetz, wonach sich die Leistungsf­ähigkeit von Computern alle 18 Monate verdoppelt, begann mit der Apollo-Mission. Heute besitzt jedes durchschni­ttliche Smartphone eine um viele Millionen größere Speicherka­pazität und eine um mehrere Milliarden höhere Verarbeitu­ngsleistun­g als der ursprüngli­che Computer der Apollo-Mission.

Heute haben wir einen unerhörten Wissensfor­tschritt, aber nutzen wir unsere Möglichkei­ten für übergeordn­ete gemeinsame Ziele? Wäre es nicht wieder an der Zeit für eine weitere Apollo-Mission, um die Vollbeschä­ftigung zu erreichen, den Krebs zu besiegen, die Energiewen­de zu realisiere­n und den Klimawande­l zu stoppen? Auch hier gilt wieder: Nicht alles, was gewagt wird, gelingt. Aber alles, was gelingt, wurde einmal gewagt.

OLIVER GASSMANN ist Professor für Technologi­e- und Innovation­smanagemen­t an der Universitä­t St. Gallen (HSG).

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