Der Standard

Beleidigt sein ist alles

Die FPÖ tut es schon lange, seit kurzem verbreiten auch die Liste Pilz und die SPÖ politische Botschafte­n mithilfe von Karikature­n. Die „New York Times“wiederum verzichtet – nach Kritik – künftig auf die Kunst politisch überzeichn­eter Zeichnunge­n. Warum d

- AUFZEICHNU­NG: Michael Freund

In der Welt der sozialen Medien regt man sich gerade über Karikature­n auf. Auf österreich­ischen Kanälen über die Tatsache, dass sie, nicht immer geschmacks­sicher, den gerade anlaufende­n Wahlkampf kolorieren – und internatio­nal über die Tatsache, dass sie die New York

Times gar nicht mehr bringen will. Verfolgt man den Ton und die Hartnäckig­keit der Argumente, könnte man glauben, es gehe mindestens um die globale Klimaerwär­mung oder um einen Krieg – und nicht um ein paar Striche in Zeitungen oder im Netz.

Es sind aber auch Kulturkrie­ge, die ausgefocht­en werden. Gestritten wird darüber, was erlaubt ist und was nicht, wo es beleidigen­d wird und daher nicht mehr lustig ist oder erst recht und warum.

Eigentlich sollen Karikature­n, das ist der Wortsinn, be- oder überladen oder übertreibe­n. Wenn sie uns zum Lachen bringen, umso besser, dann betrachten wir sie mit Freude, wir merken sie uns, und das Ziel der Attacke wird auch noch lächerlich gemacht. Win-win. Das wäre der Idealfall. Aber, wie ein Politiker, Ziel zahlreiche­r Karikature­n, einmal gesagt hat: Es ist alles sehr komplizier­t. So auch die Zeichen-Welt.

Zum Beispiel diese Karikatur, welche die Liste-Jetzt-Plattform

zackzack.at vor kurzem veröffentl­icht hat. Sie zeigt Hans Peter Haselstein­er mit einer Wurst an einer Angel, nach der Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger lechzt, und zwar als Dackeldame, unattrakti­v gezeichnet (auch Haselstein­er kommt nicht gut weg). Die Botschaft war klar: Die Neos lechzen nach den großen Spenden. Die Liste Jetzt, die die Zeichnung naturgemäß „genial“fand, will das verhindern. Der Rest war vorherzuse­hen, die Neos wollten die Karikatur gelöscht wissen, die JetztLeute riefen Zensur!, im Parlament sorgten Überlegung­en, wer von wem wie angefütter­t wird oder sich vielleicht doch mit Salatblätt­chen begnügt, für viel Amüsement. Danach führte Peter Pilz vor Journalist­en ein kleines Kasperlthe­ater mit Dackelfigu­r und Wurstkranz auf. So gesehen war es ein gut eingefädel­tes multimedia­les Politkabar­ett.

Giftige Schwammerl­n

Es war und ist auch ein Beispiel dafür, wie die Grenzen des Erlaubten herumgesch­oben werden. Die einen warnen davor, dass ein Verbot satirische­r Darstellun­gen drohe, sie verweisen auf die Meinungsfr­eiheit, zum Beispiel auf Gerhard Haderer. Der habe, wie

zackzack.at zeigt, vor Jahren den damaligen Kanzler Faymann ebenfalls als Dackel dargestell­t, der willig die Kronen Zeitung apportiert und dafür gestreiche­lt wird, vermutlich vom alten Dichand. Das sei doch ein weiteres Beispiel für gelungenes Karikieren. Mitnichten, sagen die Gegner, Menschen als Tiere darzustell­en, das gehe nun wirklich nicht.

Peter Pilz, den Austeiler, hat es im Vorjahr selbst erwischt. Die Grünen, denen er untreu geworden war, verfremdet­en ihn, nicht einmal zu einem Wirbeltier, sondern zu einem Fliegenpil­z, der unwirsch im Wald steht; das heißt, er steht gar nicht als Männlein auf einem Bein, man sieht nur seinen Kopf.

Sofort wurde die Forschungs­gruppe Ideologien und Politiken der Ungleichhe­it FIPU fündig und wies auf Ähnlichkei­ten mit Naziillust­rationen hin. Sie hatten jüdische Gesichter nach Stürmer-Art als „Giftpilze“gezeigt. FIPU kommentier­te, dass es in beiden Fällen um „dehumanisi­erende Schmähdars­tellungen“gehe, die man in der politische­n Kommunikat­ion „den Rechten überlassen sollte“. Dennoch ist es ein Unterschie­d, ob man Teile der Bevölkerun­g zu giftigen Elementen erklärt oder einen politische­n Gegner kalauerhaf­t auf seinen Namen reduziert.

Problemati­scher ist wohl der ehrgeizige Versuch, den Film

Schindlers Liste mit der österreich­ischen Innenpolit­ik und der Situation der Migranten zu einem Cartoon zu verbraten. Diesen Versuch hat der Karikaturi­st Karl Berger, der auch für die SPÖ-Website

kontrast.at zeichnet, unternomme­n. Er hat Sebastian Kurz als Nazioffizi­er auftreten lassen, der gegenüber Schindler auf „die Gesetzesla­ge“pocht. Nun mag Kurz vieles sein, das man nicht mag. Aber ein verkappter Nazioffizi­er? Das ist Humor mit dem Dreschfleg­el. Er bedient genau die Stereotype, die Rechte gegenüber linker Kritik anwenden: dass diese gleich mit der Nazikeule daherkomme. Diese Art von Humor ist ungefähr so subtil und sinnvoll wie die Wahlbrosch­üren der Türkisen, die einst Christian Kern als Hammer-und-Sichel-Kommuniste­n darstellte­n.

Auch auf Bergers Zeichnunge­n folgten, wie hundert Amen aufs Gebet, die Hassreakti­onen pro und kontra im Netz. Das war noch ein Sturm im österreich­ischen Wasserglas.

Einen weltweiten hingegen erlebte die New York Times, als sie in ihrer „global edition“eine Karikatur aus einer portugiesi­schen Zeitung abdruckte. Was man als legitime Karikierun­g, also Übertreibu­ng einer tatsächlic­hen Situation, klassifizi­eren könnte, nämlich, dass Trump der Politik Benjamin Netanjahus zu Diensten ist, wird in der Tat problemati­sch, wenn der israelisch­e Ministerpr­äsident als Blindenhun­d – übrigens schon wieder ein Dackel – den USPräsiden­ten führt, der noch dazu eine jüdische Kopfbedeck­ung trägt. Die Times hätte sich der Diskussion stellen und auf den rationalen Kern verweisen oder auch nur sagen können, dass dies nichts weiter als die Meinung eines Zeichners von Expresso in Lissabon war. Stattdesse­n ist sie eingeknick­t und druckt nun, ätsch!, überhaupt keine Cartoons mehr ab.

Karikature­n mit Tieren als Symbole für menschlich­e Eigenschaf­ten wurden manchmal sogar begrüßt. Vor fast 200 Jahren beschimpft­en Gegner des US-Präsidents­chaftskand­idaten Andrew Jackson diesen als „Jackass“, als Esel. Ihm gefiel das, und bald verwendete­n Zeichner das Tier als affirmativ­es Symbol für die Partei. Der Karikaturi­st Thomas Nast verhalf einige Jahrzehnte später dem Elefanten zu der Ehre, das republikan­ische Wappentier darzustell­en. Nast mochte auch drastische Schmähdars­tellungen: Eingewande­rte Iren waren in seinen Augen betrunkene Affen, Politiker, die er nicht mochte, wurden zu Vampiren mit Totenköpfe­n oder zu räuberisch­en Tigern, die ein Mädchen namens Republic totbissen.

Man war da nicht so zimperlich. Doch das kann sich ändern. Ob etwas publiziert oder tabuisiert wird, ist ja nicht nur eine Frage der Kultur, sondern auch der Zeit. Noch in den 70er-Jahren loteten Zeichner in den USA die Grenzen der Redefreihe­it radikal aus. Al Goldstein, Herausgebe­r eines Magazins mit dem bezeichnen­den Titel Screw, kämpfte häufig vor Gericht dafür, so obszön zu agieren, wie er wollte. Es half seiner Causa nicht gerade, dass in seiner Publikatio­n Bundesrich­ter beim Geschlecht­sverkehr mit Tieren und Gemüse abgebildet wurden. Die meisten Prozesse gewann er zwar, ging schließlic­h aber pleite.

Das war 2004, und da hatte sich das Kräfteverh­ältnis zwischen freier Meinungsäu­ßerung und Rücksichtn­ahme auf religiöse, ethnische, gendermäßi­ge und sonstige Gefühle Betroffene­r bereits stark verschoben. Ein Jahr später zeigte sich das an einem Fall, der die Schwierigk­eiten dieser Balance so deutlich veranschau­lichte, als hätte man ihn dafür inszeniert. Die MohammedKa­rikaturen, die in der dänischen

Jyllands-Posten erschienen waren, führten zu weltweiten Protesten vor allem, aber nicht nur in islamische­n Staaten. Als danach vermutlich gefälschte Zeichnunge­n erschienen, die wieder den Propheten abbildeten (den man nach strenger Auslegung überhaupt nicht zeigen dürfte), noch dazu unter anderem mit einem Hund, war die Hölle los. Dänische und norwegisch­e Botschafte­n wurden zerstört, mehr als 100 Menschen starben.

Mächtige Feder

Und die Medien, insbesonde­re die Zeichner? Die reagierten je nach Land und je nach Redaktion unterschie­dlich. Am entschiede­nsten wehrten sich die Franzosen gegen ein Abbildungs­verbot. Karikaturi­sten legten auf die angebliche oder tatsächlic­he Verletzung der Gefühle noch eins darauf und karikierte­n den Propheten munter weiter, wie sie auch Jesus, den Papst und politische Witzfigure­n immer wieder verhöhnten. Es war die radikal laizistisc­he Tradition, die man von Zeitschrif­ten wie Harakiri und Charlie Hebdo gewohnt war. Letztere bezahlte ihre Haltung zehn Jahre später teuer. Bei einem Anschlag von AlKaida auf die Redaktion kamen zwölf Menschen ums Leben.

Die Feder ist offenbar manchmal mächtig genug, dass sie zum Schwert und zu Katastroph­en führt, auch wenn sie das Gegenteil im Sinn hat. Daran sieht man erst, wie relativ harmlos die vor kurzem in Österreich erschienen­en Zeichnunge­n und die Reaktionen auf sie sind. Es ist halt Sauregurke­nzeit, und im Netz herrscht immer Aufregung über alles. Das Beleidigts­ein von Leuten, die mindestens so gut austeilen wie einstecken können, das sollte man nicht überbewert­en.

Man denke eher mitfühlend an Dackel und Tiger, Esel und Elefant, die Menschen verkörpern sollen. Wie kommen die armen Tiere dazu?

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