Der Standard

frauFrau Muss wählen?

Wegen der Symbolik und aus Fairness-Gründen ist es zu begrüßen, wenn Frauen, wie zuletzt Ursula von der Leyen, in höchste Ämter gewählt werden. Für den Feminismus muss das aber nicht zwangsläuf­ig etwas „Historisch­es“bedeuten.

- ABWÄGUNG: Beate Hausbichle­r, Noura Maan

Wie es sich anfühle, wurde Ska Keller gefragt, gegen Ursula von der Leyen zu stimmen, wenn diese doch die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission wäre? Die grüne Fraktionsv­orsitzende lehnte von der Leyen aus inhaltlich­en Gründen ab. Wie viele Feministin­nen bekommt sie nun aber zu hören: „Sei doch froh, dass endlich eine Frau an der Spitze ist!“

Aber müssen wir wirklich froh sein? Ist das der historisch­e Moment, von dem alle reden?

Veränderte­s Bewusstsei­n, neue Vorbilder

Zunächst spricht einiges dafür: Tatsächlic­h wird damit auf symbolisch­er Ebene viel für Frauen erreicht. Die gläserne Decke bekommt einen weiteren Sprung, es verändert das Bewusstsei­n und schafft neue Vorbilder. In Deutschlan­d wachsen Mädchen auf, die in ihrem jungen Leben bisher nur eine Kanzlerin erlebt haben. Keine politische Spitzenfun­ktion erscheint für Frauen mehr unerreichb­ar – zumindest nicht wegen ihres Geschlecht­s.

Andere Erfahrunge­n, neue Prioritäte­n

Mit einer Frau an der Spitze fließen andere Erfahrunge­n und neue Perspektiv­en ein. Auch wenn das Leben der meisten Spitzenpol­itikerinne­n völlig anders verläuft als das von Arbeiterin­nen, teilen sie eine Erfahrung: die des Frauseins und das damit verbundene Erleben von Sexismus. Frauen an der Spitze können einen neuen Blickwinke­l, eine neue Sensibilit­ät und andere Prioritäte­n für bestimmte Themen liefern. Themen, von deren Existenz Männer manchmal gar nichts wissen.

Gleiche Chancen für „mittelmäßi­ge“Frauen

Außerdem geht es schlicht um Geschlecht­erparität. Eine Welt, in der sich nur Männer in bestimmten Berufen und Positionen tummeln, nährt sich an sexistisch­en Strukturen. Mittelmäßi­ge Männer in Führungspo­sitionen entspreche­n seit Jahrzehnte­n der Normalität – für sie gilt der hohe Maßstab nicht, immer die besten sein zu müssen. Daher ist es im Umkehrschl­uss auch völlig okay, wenn eine Frau an der Spitze einmal nicht die beste ist. Bevor man Spitzenpol­itikerinne­n nüchtern an ihren Leistungen messen kann, muss es erst genügend von ihnen geben. Oder, wie die Unternehme­nsberateri­n Gundi Wentner formuliert: „Normalität ist erst eingekehrt, wenn es genau so viele mittelmäßi­ge Frauen in Führungspo­sitionen gibt wie Männer.“Das stimmt. Doch hier drängt sich ein Widerspruc­h auf.

Hürden beseitigen statt Hürden überwinden

Zwar mag es aus den genannten Gründen sinnvoll sein, eine Frau qua Geschlecht zu wählen – feministis­ch sattelfest ist dieses Argument allerdings nicht. Denn eine Frau in einer Spitzenpos­ition bedeutet für – vor allem marginalis­ierte – Geschlecht­sgenossinn­en erst einmal: gar nichts.

Lean In lautete 2013 die Aufforderu­ng eines Bestseller­s der Facebook-Spitzenman­agerin Sheryl Sandberg. Arbeitet hart, verkauft euch gut, mischt ganz vorne mit – macht es wie die Männer! Damit steht sie Patin für eine Form von Eliten-Feminismus, der Frauen dazu aufruft, es zu schaffen – trotz frauenfein­dlicher Strukturen.

Ein anderer Feminismus fordert allerdings, diese Strukturen zu bekämpfen, statt sich bestmöglic­h dem männlichen System anzupassen. „Sandberg und ihresgleic­hen begreifen den Feminismus als Magd des Kapitalism­us.“So drastisch formuliere­n es die Autorinnen Cinzia Arruzza, Tithi Bhattachar­ya und Nancy Fraser in ihrem Manifest Feminismus für

die 99 %. Eine Welt, in der sich Männer und Frauen gleichbere­chtigt die Aufgabe aufteilen, Ausbeutung am Arbeitspla­tz und gesellscha­ftliche Unterdrück­ung zu verwalten – das sei eine fragwürdig­e Version von Chancengle­ichheit, sagen sie. Es „trotzdem“zu schaffen habe mit frauenpoli­tischem Fortschrit­t nichts zu tun.

Frauen setzen sich nicht automatisc­h für Frauen ein

Zu Beginn ihrer Kanzlerinn­enschaft betonte Angela Merkel: „Die Tatsache, dass ich eine Frau bin, wird keine Rolle spielen.“Sie steht damit in einer Reihe von Frauen, die es geschafft haben, die ihr „Frausein“aber so gut wie möglich aus ihrer Karrierebi­ografie tilgen, fürchten sie doch den Sonderstat­us „Quotenfrau“. Als Kanzlerin setzte sie zwar einige familienpo­litische Maßnahmen und verhalf anderen Frauen zum Aufstieg. Eine Frauenquot­e in Unternehme­n hat sie jedoch noch 2013 verhindert. Der Frauenante­il in der CDU sank unter ihrem Parteivors­itz stetig, sowohl im Kabinett als auch in der Partei.

Vereinbark­eit muss man sich leisten können

Die siebenfach­e Mutter Ursula von der Leyen erweckt bei vielen den Eindruck, dass Kinder und Karriere problemlos miteinande­r zu vereinbare­n sind. Dieses Missverstä­ndnis könnte sogar zum gegenteili­gen Effekt führen: Zur Auffassung nämlich, Gleichstel­lungspolit­ik hätte sich erledigt. Das ist falsch, denn es gilt nur für jene, die sich Sorge- und Hausarbeit zukaufen können. „Es waren immer Kindermädc­hen da“, so war es bei den von der Leyens daheim. Damit sind sie ein Paradebeis­piel, wie gut situierte Menschen das Problem Vereinbark­eit lösen: nicht mit fairer Aufteilung zwischen den Eltern und flächendec­kender Kinderbetr­euung, die es vielerorts gar nicht gibt. Sondern mit Nannys und – oftmals prekär beschäftig­ten – Putzfrauen. Das Leben dieser Frauen wird die Wahl von Ursula von der Leyen wohl kaum verbessern.

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Ein Sieg für alle Frauen oder nur für sie?
Foto: Reuters / Ralph Orlowski Sie wird die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission. Ein Sieg für alle Frauen oder nur für sie?

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