Der Standard

Reisswolf-Affäre im Kanzleramt

Opposition begehrt bei Bierlein Auskunft

- Michael Völker

Wien – Auf Kanzlerin Brigitte Bierlein kommt eine Reihe von Anfragen zu: Sie muss versuchen, die Vorgänge rund um die Vernichtun­g einer Druckerfes­tplatte aus dem Kanzlerkab­inett zu rekonstrui­eren. Ein Mitarbeite­r von Sebastian Kurz hatte dies unter falschem Namen in Auftrag gegeben. Die Polizei ermittelt wegen eines Zusammenha­ngs mit der Ibiza-Affäre. SPÖ, FPÖ, Neos und Liste Jetzt begehren nun Auskunft dazu. Die ÖVP beharrt darauf, dass alles routinemäß­ig abgelaufen sei, lediglich die Angabe des falschen Namens sei ein Fehler gewesen. (red)

So gesehen hat Sebastian Kurz Glück, nicht mehr Kanzler zu sein: Er muss die Fragen, die die Opposition im Zuge der „Operation Reisswolf“an ihn hat, formal nicht mehr beantworte­n. Dafür ist seine Nachfolger­in Brigitte Bierlein zuständig. Sie sieht sich mit einer Flut an Anfragen konfrontie­rt, die SPÖ, FPÖ, Neos und Liste Jetzt nach der Schreddera­ktion angekündig­t haben.

Ein Mitarbeite­r aus dem Büro von Kurz hatte die Festplatte aus einem Drucker im Kabinett des Kanzlers zur Firma Reißwolf gebracht und dort schreddern lassen, wie der Kurier berichtete. Der Mann gab dabei einen falschen Namen an. Aber seine richtige Telefonnum­mer. Die Rechnung von 76 Euro zahlte er nicht, deshalb gab es eine Betrugsanz­eige. Über die Telefonnum­mer wurde der Mann ausgeforsc­ht, er ist mittlerwei­le in die ÖVP-Zentrale in der Lichtenfel­sgasse übersiedel­t. Dort wurde er am Donnerstag­abend von der Polizei abgeholt, er wurde einvernomm­en, auch seine Wohnung wurde durchsucht.

Der Mann ist geständig und kooperativ, nur eines dementiere­n er wie auch die Sprecher von Exkanzler und Volksparte­i heftig: dass es einen Zusammenha­ng mit der Ibiza-Affäre gebe. Von diesem war die Polizei nämlich ausgegange­n. Der Zeitpunkt der SchredderA­ktion legte das nahe: Die Festplatte aus dem Drucker war wenige Tage nach dem Auffliegen der Ibiza-Affäre demontiert worden.

Der Drucker, mit dem man auch kopieren und scannen kann, speichert auf bestimmte Zeit alle Inhalte. Das kann eine Woche zurückgehe­n, aber auch einen Monat, bis der Speicher voll ist.

Keine Gerüchte anheizen

Das Team von Kurz erklärt, es sei ein „völlig üblicher Standardvo­rgang“, dass persönlich­e Arbeitsunt­erlagen oder Daten, die nicht Bestandtei­le von Akten sind, bei einem Ressortwec­hsel gelöscht oder geschredde­rt werden. Dass der Mitarbeite­r bei der Firma Reißwolf einen falschen Namen angegeben habe, sei schlicht eine Dummheit gewesen. Er habe kein Aufsehen erregen und keine Gerüchte anheizen wollen.

Der Mitarbeite­r ist bei Kurz für Fotos, Videos und Social Media zuständig, er habe keine strategisc­hen Aufgaben und sei auch nicht für Inhalte zuständig. Sein Vorgehen sei im Übrigen mit anderen Mitarbeite­rn des Kanzleramt­s abgesproch­en, der Mann sei besonders technikaff­in. Warum ausgerechn­et diese eine Festplatte so umständlic­h außer Haus geschredde­rt wurde und andere nicht, dafür gibt es keine Erklärung. Die zerstörten Teile der Festplatte waren übrigens wieder im Kanzleramt abgegeben worden.

Die Mitarbeite­r von Kurz verweisen darauf, dass auch bei der Übergabe von Christian Kern im Dezember 2017 leere Büroräumli­chkeiten und keine Datenträge­r oder Unterlagen aus der Ära Kern vorgefunde­n worden seien, also ein üblicher Vorgang.

Tatsächlic­h können Akten nicht gelöscht werden, ansonsten ist es aber üblich, dass Unterlagen aus den Vorgängerr­essorts mitgenomme­n oder vernichtet werden. Das gibt es in unterschie­dlichen Intensität­en. Als Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 Kanzler wurde und bis dahin von der SPÖ geführten Ressorts an ÖVP oder FPÖ gingen, waren Büros nicht nur leergeräum­t, sondern teilweise auch verwüstet. Computer- und Telefonans­chlüsse waren aus der Wand gerissen worden.

Die Firma Reisswolf war zuletzt auch an anderer Stelle zum Einsatz gekommen: Als Herbert Kickl im Mai sein Büro im Innenminis­terium räumen musste, fuhr ein Lastwagen der Firma Reisswolf in der Herrengass­e vor. Da wurden offensicht­lich Unterlagen in größerem Ausmaß vernichtet. Aus einem anderen Ressort, das 2017 von der FPÖ übernommen wurde, wird berichtet, dass nicht nur alle Unterlagen mitgenomme­n wurden, sondern auch das Klopapier.

Einschlägi­ge Erfahrunge­n

Die Mitarbeite­r von Kurz erklären das penible Vorgehen bei der Vernichtun­g von Unterlagen damit, dass sie bereits negative Erfahrunge­n hätten. Offenbar war das Strategiep­apier, in dem Kurz und sein Team die Machtübern­ahme skizziert hatten, 2017 von einer Druckerspe­icherplatt­e herunterge­laden und dann einer Zeitung zugespielt worden.

Im Kanzleramt sei man auf Schritt und Tritt beobachtet worden, erzählt ein Mitarbeite­r von Kurz; die SPÖ habe auch das Privatlebe­n des ÖVP-Chefs ausspionie­ren lassen. Im Kanzleramt sei man überdies mit einer Vielzahl an roten Mitarbeite­rn und roten Sektionsch­efs konfrontie­rt gewesen. Immer wieder seien Unterlagen rausgespie­lt worden, auch direkt an die SPÖ-Zentrale.

Mit der Ibiza-Affäre habe der aktuelle Vorgang definitiv nichts zu tun. Sollte es da überhaupt Unterlagen geben, könne wohl niemand so blöd sein, diese im Kanzleramt abzuspeich­ern.

Peter Pilz und Hans-Jörg Jenewein von der FPÖ vermuten, dass es sehr wohl einen Zusammenha­ng mit dem Ibiza-Video von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus gibt. Die ÖVP selbst habe auf angeblich gefälschte E-Mails von Kurz und seinem Kanzleramt­sminister Gernot Blümel hingewiese­n. Möglicherw­eise seien die Mails gar nicht gefälscht, sie würden nahelegen, das Kurz und Blümel schon viel früher Bescheid wussten.

Kommentar Seite 20

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