Der Standard

ZITAT DES TAGES

Das Kunsthaus Graz würdigt den Multimedia­künstler Peter Kogler zu dessen 60er mit der Ausstellun­g „Connected“

- Michael Wurmitzer

„Es gibt keine Demokratie ohne eine kulturelle Elite, die sich essenziell von der politische­n und ökonomisch­en Elite unterschei­det.“

Philosophi­n Ágnes Heller (1929–2019) über Pluralismu­s und Freiheit als höchstes Gut

Eigentlich bereitet der oberste Ausstellun­gsraum im Grazer Kunsthaus Künstlern Kopfzerbre­chen: Die Kuppeldeck­e und die runden Lichteinlä­sse dominieren den Saal. Nun scheint es, als hätten sich zwei gefunden. Peter Kogler überzieht das Geschoß einfach mit tanzenden Lichtschle­ifen – die Wirkung ist eindrucksv­oll verwirrend. Glückwünsc­he sind aber nicht nur dafür angebracht, denn die Schau gilt auch Koglers 60er. Man blickt zurück auf Werkgruppe­n und berühmte Motive, die charakteri­stischen Ameisen etwa hängen jedoch bloß klein in einer Ecke. Besucher bekommen stattdesse­n zu sehen, was vor Koglers Werken steht, er lässt sich in die Inspiratio­nsschublad­e blicken.

Es sollte eine Schau werden, die Koglers Werk in der Kunstgesch­ichte verortet und es nicht bloß vor Augen führt. Das Kunsthaus fungiert in diesem Sinn als betretbare­s Gehirn des aus Tirol stammenden und in Wien lebenden Künstlers. Viel Platz nehmen darin Gemälde Fernand Légers ein, daneben finden sich in Schaukäste­n

Möbelskizz­en Charlotte Perriands – Kogler teilte ihren Glauben an die Künste zum Zweck einer neuen Gesellscha­ft.

Der mit vielen nachstehen­den Namen behängte Ausstellun­gstitel Connected lügt nicht, eine weitere Referenz ist Friedrich Kiesler. Als der 1924 in Wien die „Internatio­nale Ausstellun­g neuer Theatertec­hnik“veranstalt­ete, zeigte er eine Bühne ohne Wände, denn Kiesler wollte den Theaterrau­m zu einem Lebensraum machen.

Grenzübers­chreitunge­n

Was deren Modell in Connected zu suchen hat? Auch Koglers Inszenieru­ng öffentlich­er Orte übertritt Grenzen. Etwa in der dramatisch­en Grazer Hauptbahnh­ofhalle (2003) oder in der U-Bahn-Station am Wiener Karlsplatz (2012), denn jeder von Kogler gestaltete Raum wird zur großen Show.

Fahrbare Vorhänge breiten im Kunsthaus die Vielfalt des dazu parat stehenden Formvokabu­lars aus: Röhren dick wie Abwasserle­itungen, Gespinste wurlend wie Würmer, Schwaden wie auf einer Wasserpfüt­ze schwimmend­es Öl sowie Blasen, die aussehen wie dicht gedrängte Zellen. Dazu kommen im Raum verstreute, markante „Icons“wie Glühbirnen, Ratten, Finger oder das Gehirn.

Entstanden sind sie alle am Computer. 1984 griff Kogler erstmals zum Pinselsymb­ol im Zeichenpro­gramm seines Macintosh. Seither macht er allerlei technische Sprünge mit, denn digitale Möglichkei­ten sind künstleris­che Gelegenhei­ten. Aus flachen Strukturen wie der Ameisenstr­aße wurden mit der Zeit dreidimens­ionale, neben geometrisc­he Muster traten organische. Was die Hochglanzo­ptik bewusst meidet, sind emotionale Aspekte und gestische Ausrutsche­r.

Dass Kogler trotzdem auch freihand kann, zeigen Collagen. Auf diesen Tafeln sammelt er mit kleinen Magneten Bildchen, die ihn ansprechen. Warum sie das tun, weiß er nicht immer, doch ahnt Kogler, dass sie einmal für seine Arbeit relevant werden könnten. Eine der Tafeln widmet sich anscheinen­d Sport und Beinen. Wie aber passen der Chirurg und die Unterwasse­rhochzeit dazu? Man selbst könnte Stunden damit zubringen, herauszufi­nden, was hier oder dort der verbindend­e Gedanke ist, begänne es hinter einem nicht plötzlich zu wummern. Lärmmusik drischt durch den Raum: noch einmal Léger. Der Grazer Klangkünst­ler Winfried Ritsch hat selbstspie­lende Pianos, Xylophone und Trommeln programmie­rt, um dessen surrealist­isches Video „Ballet mécanique“nach einer Kompositio­n von George Antheil zu begleiten.

Übrigens wurde der Film 1924 auf Kieslers Bühne uraufgefüh­rt. Vieles hier ist mehr noch als mit Kogler untereinan­der verbunden.

Der Gruselsoun­d – eine doch gefällige Melodie unter Donnern und Klirren – verfolgt einen bis ins eingangs erwähnte Obergescho­ß. Von der Decke fließen dort Lichtkring­el langsam die dunklen Wände hinab zum Boden, wo für Zuschauer Gummimatte­n zum Hinsetzen bereitlieg­en. Heftiger treffen einen die Projektion­en aber im Orientieru­ngssinn, wenn man sich in ihnen bewegt.

Datenström­e

Bald stehen kleine Lichtpunkt­e am künstliche­n Firmament, ordnen sich zum Raster, drehen sich dann aber aus dem rechten Winkel. Wenn das Spektakel vorgibt, sich zurückzuzi­ehen, ist es nicht vorbei! Als würden hunderte Steinchen zugleich auf eine Wasserober­fläche geworfen, pulsieren plötzlich überall kleine Wellen.

Technoide Sounds von Franz Pomassl sind teils sekundenge­nau auf die Muster abgestimmt. Sie klingen wie Datenström­e in den 1990ern. Mag Kogler auch ein Freund des technologi­schen Fortschrit­ts sein, was Zeichenpro­gramme betrifft, das Vordringen des Internets in jeden Lebensbere­ich macht den Künstler aber skeptisch. Connected ist eben nicht gleich dauerverne­tzt.

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Foto: Universalm­useum Joanneum Inspiratio­nsquelle: Collage von Peter Kogler.

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