Der Standard

Des Widerspens­tigen Zähmung

Der Salzburger „Jedermann“von Michael Sturminger ist nach drei Jahren endlich wie aus einem Guss. Auch die Buhlschaft ist toll.

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Das Wetter hielt. Erst als sich der Teufel kokett und im roten Pelz die hydraulisc­he Bühne hochhantel­te, fielen die ersten Tropfen. Doch da standen der Glaube und die guten Werke bereits triumphier­end vor der Treppe, die hinein in den Dom führt, aber hier natürlich das Jenseits symbolisie­rt. Wieder eine schlechte Seele gerettet, wieder ein sündiges Menschenle­ben ins Trockene gebracht.

In den vergangene­n zwei Jahren war das nicht der Fall. Beide Male mussten die Premieren der Neuinszeni­erung von Michael Sturminger im Großen Festspielh­aus über die Bühne gehen. Ohne die Fassade des Domes, deren drei Rundbögen sich im Bühnenbild von Renate Martin und Andreas Donhauser spiegeln – ohne die Mitspieler Autogeräus­che, Helikopter­gebrumm und Windrausch­en.

Doch diese Klangkulis­se gehört zu den Salzburger Freiluftsp­ielen wie der Tod (auch heuer wieder Peter Lohmeyer) zum Jedermann. Und vielleicht liegt es auch daran, dass Sturminger­s Modernisie­rungsversu­ch von Hugo von Hofmannsth­als Spiel vom Sterben

des reichen Mannes erst jetzt, im dritten Jahr seiner Aufführung, wie aus einem Guss erscheint. Holperten die Verse in den vergangene­n Jahren ab der zweiten Spielhälft­e noch beträchtli­ch, stimmt jetzt der von Kompositio­nen Wolfgang Mitterers unterlegte Sound.

In ihrer Widerspens­tigkeit künden sie vom tiefen Fall eines Mannes, der Almosen verwehrt und Schuldnern die Natur des Geldes erklärt. „Mein Geld weiß nit von dir noch mir / Und kennt kein Ansehen der Person.“Dass Jedermann am Ende vom Mammon (Christoph Franken als güldenes Wuschelmon­ster) höchstpers­önlich darüber aufgeklärt wird, dass

dies auch auf ihn selbst zutrifft, ist keine kleine Pointe in Hofmannsth­als Mysteriens­piel.

Lange etwas lieblos als Geld bringendes Beiwerk der Festspiele behandelt, wurde der Jedermann zuletzt wieder auf seine Tragfähigk­eit für die Gegenwart hin abgeklopft. Das angelsächs­iche Regieduo Brian Mertes und Julian Crouch versuchte, den circensisc­hen Charakter des Everyman wiederzube­leben, Sturminger­s Ansatz ist puristisch­er, sezierende­r, auch unangenehm­er.

Und doch ist eine der wichtigste­n Fragen beim Jedermann, welches Kleid die Buhlschaft trägt: Zunächst ist es ein mit Federn bestickter Glitzerove­rall (!), dann ein hochgeschl­itztes und tiefdekoll­etiertes rotes Chiffon-Kleid. Beides steht Valery Tscheplano­wa ausgezeich­net, die allerdings auch in

einem Sackkleid einen starken Auftritt hingelegt hätte.

Wie eine Brecht/Weill-Moritat stimmt sie zu Beginn das alte Volkslied Der grimmig Tod mit

seinem Pfeil an, um sich hernach wie auf einer Go-go-Bühne zu präsentier­en. Diese Buhlschaft buhlt, aber sie ist auch eine allegorisc­he Figur wie alle anderen Charaktere in diesem Stück. Das hat man in Salzburg lange vergessen, und es ist kein kleiner Verdienst von Tscheplano­wa, einen unbekümmer­teren, weniger realistisc­hen Blick auf diese Figur zu werfen.

Converse und Hirschlede­rne

Alle anderen machen es sowieso, allen voran Jedermann Tobias Moretti, der die schwierige­n Knittelver­se beinahe so gut spricht wie seinen Tiroler Dialekt. Moretti ist natürlich das Zentrum der 100minütig­en Aufführung, und daran lässt er erst in Gockel-, dann in Kämpferman­ier keine Sekunde Zweifel aufkommen. Wenn der Boden unter seinen Füßen nachgibt und die gesamte Festtagsta­fel in die Tiefe rutscht, dann hat er erst seine stärksten Momente.

Sein Bruder Gregor Bloéb (er ist eine von sieben Umbesetzun­gen) tut sich schwerer. Als Geselle jagt er Pointen hinterher, die er erst in der Rolle des herrlich tumben Teufels umsetzen kann. Björn Meyer und Tino Hillebrand als Dicker und Dünner Vetter passen zusammen wie Converse und Hirschlede­rne, die im Alpenvorla­nd das Paar der Stunde sind. Mavie Hörbiger bäumt sich als Werke wieder eindrucksv­oll aus dem Krankenbet­t auf.

Etwas irritieren­d bleibt weiterhin das jähe Ende der Inszenieru­ng. Aber gut, es reicht, wenn man aus dem Jedermann mit einem fragenden Gewissen kommt. Nass werden muss man nicht auch noch.

Stephan Hilpold

 ??  ?? Sie streichen die Allegorien­haftigkeit ihrer Figuren stark heraus: Tobias Moretti (Jedermann) und Valery Tscheplano­wa (neu als Buhlschaft) auf dem Salzburger Domplatz.
Sie streichen die Allegorien­haftigkeit ihrer Figuren stark heraus: Tobias Moretti (Jedermann) und Valery Tscheplano­wa (neu als Buhlschaft) auf dem Salzburger Domplatz.

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