Der Standard

Die Stunde der Kriegstrei­ber

- Gudrun Harrer

Die neue Golfkrise zieht immer mehr Staaten in ihren Strudel. Mit dem iranisch-britischen Gezerre um beschlagna­hmte Öltanker in Gibraltar und im Golf hat sich am Wochenende der Schwerpunk­t verlagert: Nicht mehr, was US-Präsident Donald Trump nach dem Aufstehen in der Früh wütend twittert, ist relevant, sondern was die Regierung in London – die vor einer Woche steht, in der sie eigentlich genügend eigene interne Probleme hätte – am Montag für Maßnahmen treffen wird.

Und Großbritan­nien ist, ob es den Briten und den anderen Europäern gefällt oder nicht, noch immer ein EU-Land. Und es gehört zur Gruppe der Abkommensp­artner des Atomdeals mit dem Iran und hat sich bisher für dessen Erhalt eingesetzt. Das alles könnte sich schlagarti­g ändern: Zumal der wahrschein­liche neue Premier, Boris Johnson, ohnehin hinund hergerisse­n ist zwischen dem Wunsch, sich aus dem Ringen zwischen den USA und dem Iran herauszuha­lten, und seiner persönlich­en Dispositio­n als Trump-Versteher. Der jüngste Vorfall im Golf könnte ihn ins Lager der Anhänger der „Maximum Pressure“-Politik Trumps treiben. Teheran kann auch nicht im Ernst glauben, dass Frankreich und Deutschlan­d – mit Großbritan­nien im Format E3 vereint, das sich um die Rettung des Atomdeals bemüht – einfach so weitermach­en G können wie bisher. ibraltar hat eine Rechtsgrun­dlage für die Beschlagna­hme des iranischen Tankers angeführt, über die, wenn sie beeinspruc­ht wird, Juristen entscheide­n können und werden. Wenn der iranische Wächterrat­schef jedoch ernsthaft „Reziprozit­ät“als Grund für die Anhaltung des britischen Schiffs anführt, dann ist das ein wahnsinnig­es Spiel. Gilt dieses Prinzip vielleicht auch für Staaten, die Staatsbürg­er (meist Doppelstaa­tsbürger) in iranischen Gefängniss­en sitzen haben, aus ihrer Sicht widerrecht­lich? Auch in dieser Hinsicht scheint der Iran in letzter Zeit keinen Halt mehr zu kennen.

Die Iraner machen es im Moment allen, die auf Deeskalati­on setzen, nicht leicht. Die Schiffskap­erung im Golf von Oman – die Briten sagen: in omanischen Gewässern – betrifft natürlich auch das Sultanat, das sich gerade dem Iran immer wieder als Vermittler mit dem Westen als nützlich erwiesen hat. Die Crew der Stena Impero ist internatio­nal, keine Briten und keine Amerikaner sind dabei, die Mannschaft stammt aus Indien, Russland, Lettland und den Philippine­n. Der Kapitän ist Inder: Die Regierung in Neu-Delhi hat sich bereits eingeschal­tet, um ihre Staatsbürg­er freizubeko­mmen. Mehr Porzellan auf einmal kann man schwer zerschlage­n.

Die Frage, ob die iranischen Revolution­sgarden nun endgültig gegen jede politische Räson und damit gegen ihre eigene Regierung arbeiten, ist rein theoretisc­h. Aber zweifellos ist es die Stunde der Hardliner und Kriegstrei­ber – allerdings nicht nur im Iran. Der Beginn der aktuellen Krise ist mit dem Austritt der USA aus dem Atomdeal zu datieren, das sollte man nicht vergessen.

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