Der Standard

Künstlerin­nen gegen Spaniens Machismo

Der Verbund präsentier­t seine Sammlung feministis­cher Kunst in Barcelona. Der Protest gegen das Patriarcha­t und die iberische Machokultu­r wurde dort erst nach Franco möglich.

- Nicole Scheyerer

Sie kann getrost als bestbesuch­te österreich­ische Ausstellun­g aller Zeiten bezeichnet werden: Mit Stationen in mittlerwei­le elf europäisch­en Metropolen hat die Kunstsamml­ung des Energiekon­zerns Verbund so viel Publikum erreicht wie noch keine andere heimische Schau. Und ihr Fokus auf feministis­che Kunst erscheint heute sogar noch aktueller als im Jahr 2009, als sich die Direktorin der Kollektion Gabriele Schor sich für diesen Schwerpunk­t entschied.

Seit damals wurden über 600 Arbeiten erworben; viele davon verstaubte­n seit Jahrzehnte­n im Lager. Ein Drittel der stetig wachsenden Kollektion wird nun in Barcelona gezeigt; von den 67 Künstlerin­nen stammen zehn aus Österreich. „Ich wollte der Sammlung Verbund ein einzigarti­ges Gesicht verleihen“, erklärte Schor bei der gut besuchten Pressekonf­erenz im Centre de Cultura Contemporà­nia de Barcelona (CCCB). Das prominente­re Museum zeitgenöss­ischer Kunst (MACBA) nebenan zeigt keine Privatsamm­lungen. Der Andrang war auch bei der Vernissage und beim Ausstellun­gsgespräch im Auditorium des katalanisc­hen Kulturzent­rums sehr groß. Zu den Ehrengäste­n der Veranstalt­ung zählten spanische Pionierinn­en der „feministis­chen Avantgarde“(Schor), deren Kunstwerke in der aktuellen Schau vertreten sind und teilweise angekauft wurden.

„Bis zu Francos Tod war die Frauenbewe­gung in Spanien kaum existent. Männer und Frauen kämpften gemeinsam gegen die Diktatur“, erzählte die Künstlerin Àngels Ribé im Gespräch. Erst nach 1975 sei der Kampf um gleiche Rechte für beide Geschlecht­er losgegange­n. Unter Francos Regime durften Frauen ohne Zustimmung von Vater oder Gatte keinen Führersche­in machen, kein Bankkonto eröffnen und keinen Mietvertra­g unterzeich­nen.

Scheidung war im erzkatholi­schen Spanien ebenso verboten wie Abtreibung. Das Klischee der sittsamen Spanierin stellte die mit der typischen Mantilla verschleie­rte Kirchgänge­rin dar, die sich in erster Linie um die Familie kümmern sollte. Der Katholizis­mus beglaubigt­e die Unterlegen­heit der Frau und stärkte der iberischen Machokultu­r den Rücken.

Kein Wunder also, dass junge selbstbewu­sste Spanierinn­en damals flüchten wollten. Die meisten der gezeigten Künstlerin­nen kehrten in den 1970er-Jahren ihrer Heimat den Rücken, so auch Àngels Ribé. Die Katalanin ging 1967 nach Paris, um an der Sorbonne Soziologie zu studieren. Ihre feministis­che Erweckung erlebte Ribé im Zuge der Studentenr­evolte durch die Frauenorga­nisation Le Torchon Brûle („Der brennende Putzfetzen“), ehe sie 1972 in die USA zog.

In Chicago und später in New York kreierte die Künstlerin Arbeiten mit ihrem

eigenen Körper, wie den jetzt vom Verbund angekaufte­n Triptychon El no dit. El no fet. El no vist (The Unseen. The Unmade. The

Unsaid) – „Das Ungesagte. Das Ungemachte. Das Ungesehene“–, der nach dem dem Sinnbild der drei Affen entstand. Besonderen Eindruck macht die erste dieser Fotogravur­en: Dabei reißt die Künstlerin sich selbst den Mund derart heftig auf, als wäre es ein fremder Übergriff. Das schwarze Loch im Gesicht lässt automatisc­h an den Schrei von Edvard Munch denken.

Gewalt gegen Frauen und deren Verharmlos­ung hat in Spanien 2018 Massenprot­este ausgelöst. Auslöser war eine Gruppenver­gewaltigun­g am Rande der Stierhatz von Pamplona. Fünf Männer, die sich dort an einer 18-Jährigen vergangen hatten, wurden wegen „sexuellen Missbrauch­s“milde verurteilt. Dieser Prozess löste im ganzen Land Demonstrat­ionen aus und verlieh der spanischen Frauenbewe­gung – auch in der Folge von #Me Too – Einigkeit und Präsenz wie schon lange nicht mehr.

Den verzweifel­ten Ausdruck im Gesicht einer Frau verewigte auch Marisa González, die Ende der 1970er-Jahre zum Kunststudi­um nach Washington ging. Die Spanierin produziert­e ihre Fotoarbeit Serie violencia

mujer, nachdem sie auf einen Artikel über die gefolterte­n Frauen der Militärdik­tatur von Augusto Pinochet gestoßen war. „Ich wollte mein Umfeld aufrütteln. Schließlic­h haben die USA Pinochets Regime an die Macht gebracht, aber dafür gab es kaum ein kritisches Bewusstsei­n“, erzählte die 1945 geborene Künstlerin beim Ausstellun­gsrundgang.

Befreiung mit der Schere

Zur Eröffnung der jetzigen Schau reisten auch Ulrike Rosenbach und Annegret Soltau aus Deutschlan­d an. Mit gezücktem Revolver zielt Rosenbach vom Ausstellun­gsposter auf die Betrachter. Die Künstlerin stellte damals einen Siebdruck von Andy Warhol nach, der Elvis Presley als Cowboy zeigt. Ein anderes Mal verkörpert­e die Videokunst­pionierin Botticelli­s Venus und andere weibliche Archetypen der Kunstgesch­ichte.

Weniger das Rollenspie­l als existenzie­lle Nöte beschäftig­ten Annegret Soltau, die für die Fotoserie Selbst ihr Gesicht 1975 mit Fäden umwickelte, bis weder Augen noch Mund mehr zu sehen waren. Ihren Körper einzuschnü­ren fiel in jener Epoche auch Künstlerin­nen in anderen Ländern ein, wie die Schau beeindruck­end zeigt. Unter den versammelt­en Arbeiten blieb Soltau jedoch die Einzige, die zur Schere griff. „Ich wollte mich unbedingt selbst befreien!“, betonte die heute 73-Jährige, der das nicht nur in der Kunst gelungen ist.

„Feministis­che Avantgarde der 1970er-Jahre. Werke aus der Sammlung Verbund, Wien“, bis 1. 12. 2019 im Centre de Cultura Contemporà­nia de Barcelona (CCCB). Die Reise erfolgte auf Einladung des CCCB.

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Zu sehen in der Verbund-Schau in Barcelona: Annegret Soltaus Fotoserie und Einschnüru­ngsstudie „Selbst“von 1975.

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