Der Standard

Kind vor Abschiebun­g

Einem schwerkran­ken Mädchen droht jeden Tag die Abschiebun­g nach Georgien, obwohl ihr Leiden dort unbehandel­bar ist. Ein Abschiebes­topp-Eilantrag bleibt seit vier Wochen ohne Antwort.

- Irene Brickner

Eine schwerkran­ke Siebenjähr­ige ist von Abschiebun­g nach Georgien bedroht. Ein Aufschiebu­ngsantrag blieb ohne Antwort.

Die georgische Familie D.-B.* – Vater Otar, Mutter Nino und die siebenjähr­ige Tochter Lizi – rechnet derzeit täglich mit dem Auftauchen der Fremdenpol­izei und dem Abtranspor­t nach Tiflis. Am 3. Juni hat das Bundesverw­altungsger­icht (BvwG) – mündlich nur, aber rechtlich verbindlic­h – bestätigt, dass die drei in Österreich weder Schutz, noch einen Aufenthalt­stitel aus berücksich­tigenswert­en Gründen erhalten. Die ihnen eingeräumt­e Frist für eine freiwillig­e Ausreise ist inzwischen verstriche­n.

Das Risiko einer Abschiebun­g nehmen die D.-B.s dennoch auf sich. Weil es um das Leben von Tochter Lizi geht. Sowie weil sie

nach mehr als einem Monat immer noch auf einen Beschluss des Verfassung­sgerichtsh­ofs über aufschiebe­nde Wirkung warten. Würde diese gewährt, wären Verhaftung­sund Abschiebeg­efahr fürs Erste gebannt; Entscheidu­ngen wie diese dauern sonst meistens nur Tage.

Dann, so Unterstütz­er und Rechtsvert­reter, könnten die Gerichte endlich gründlich prüfen, ob eine Rückkehr nach Georgien Lizi in Lebensgefa­hr brächte: Das Mädchen leidet am atypischen hämolytisc­h-urämischen Syndrom, einer höchst seltenen genetisch bedingten Autoimmune­rkrankung, die sich durch Bauchschme­rzen, Blutarmut und eine schlechte Nierenfunk­tion äußert. Unbehandel­t führt die Krankheit in den meisten Fällen zu akutem Nierenvers­agen. Das verkürzt die Lebenserwa­rtung massiv.

Wirksame Therapie in Wien

In Georgien ist diese Krankheit nicht behandelba­r – ein Umstand, den das Tifliser Iashvili Children’s Hospital im Verfahren schriftlic­h bestätigt hat. In der Türkei, wohin die Familie zwecks Behandlung reiste, nachdem sie in Georgien ihre Besitztüme­r verkauft hatte, hätten die Kosten 20.000 Euro pro Monat betragen: für die D.-B.s nicht leistbar. In Österreich hingegen, wo sie im März 2018 Asyl beantragte­n, ist die Siebenjähr­ige nach Plasmaaust­auschbehan­dlungen und unter dauerhafte­r Immunsuppr­ession symptomfre­i. Ohne die Therapie würde sie rasch wieder akute Symptome zeigen.

Nun ist selbst eine derart schwere Erkrankung kein Asylgrund. Asyl erhält, wer im Heimatland verfolgt wurde. Doch laut einem Entscheid des Europäisch­en Gerichtsho­fes für Menschenre­chte (EGMR) aus dem Jahr 2016 muss der verfahrens­führende Staat – im vorliegend­en Fall also Österreich – genau erkunden, ob dem oder der Auszuweise­nden bei einer Rückkehr mangels verfügbare­r Therapie Todesgefah­r oder schwerster gesundheit­licher Schaden droht. Ist dies der Fall, so ist eine Abschiebun­g nicht zulässig.

Genau eine solche genaue Prüfung habe es im Fall Lizzi D.-B.s aber weder in der ersten Instanz vor dem Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl noch in der Berufung vor dem Bundesverw­altungsger­icht gegeben, kritisiert der Rechtsvert­reter: Am 25. Juni brachte er daher die VfGH-Beschwerde ein. Zuständig für sie ist dem Vernehmen nach der 2018 von ÖVP und FPÖ nominierte Richter Andreas Hauer. Ein VfGHSprech­er sagte am Montag, über den Fall werde „mit höchster Sorgfalt und schnellstm­öglich entschiede­n“.

*Namen der Redaktion bekannt

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