Der Standard

Boris Johnson tritt in die erste Reihe

Nicht einmal sein Rivale Jeremy Hunt bezweifelt es noch: Boris Johnson wird neuer Chef der Konservati­ven und folgt Theresa May auch als Premiermin­ister. Wer ist der Neue in der Downing Street? Was kann er? Was nicht?

- FRAGE & ANTWORT: Sebastian Borger aus London

Boris Johnson will Nachfolger von Theresa May werden – nicht nur als Parteichef der britischen Konservati­ven, sondern auch als Premiermin­ister. Heute, Dienstag, erfolgt die offizielle Bekanntgab­e des Ergebnisse­s des mehrwöchig­en Kandidaten­rennens um den Topjob – und es gibt keinen Zweifel darüber, dass Johnson in der Mitglieder­befragung auch seinen letzten verblieben­en Konkurrent­en, Außenminis­ter Jeremy Hunt, besiegt hat. Größter – und schwerster – Brocken für Johnson: der Brexit.

Frage: Welchen Hintergrun­d hat Johnson?

Antwort: Alexander Boris Johnson – von der Familie Al, vom Rest der Welt meist nur Boris genannt – wurde 1964 in New York geboren und wuchs weitgehend in Brüssel auf, wo sein Vater für die EWG arbeitete. Er ist Abkömmling der französisc­hen Adelsfamil­ie de Pfeffel, einer illegitime­n Tochter des Prinzen Paul von Württember­g sowie eines 1922 ermordeten türkischen Dichters. Ein Europäer par excellence. Johnson macht seine Schwester Rachel für seinen Ehrgeiz verantwort­lich; dass er nach Privatschu­le in Brüssel und Internat im Eton-College sein Studium der Altphilolo­gie in Oxford nur mit einer Zwei abschloss, führte zu Tränen. Es folgte ein Job bei The Times, wo er wegen eines gefälschte­n Zitats gefeuert wurde. Der Daily Telegraph schickte ihn nach Brüssel, wo Johnson mit zugespitzt­en (und teils erlogenen) Artikeln Furore machte. Als Chefredakt­eur des rechten Spectator zog der Liberalkon­servative 2001 ins Unterhaus ein.

Frage: Welche politische­n Ämter hatte er bisher inne?

Antwort: Von seiner Position als kulturpoli­tischer Sprecher wurde der verheirate­te Vater von vier Kindern 2004 gefeuert, weil er über die Affäre mit einer Kollegin gelogen hatte. Als im Jahr darauf David Cameron konservati­ver Parteichef wurde, wandte Johnson seinen politische­n Ehrgeiz dem Bürgermeis­teramt der Hauptstadt London zu. Sein Triumph in der Metropole machte ihn 2008 endgültig zum Politstar. 2015 errang Johnson erneut ein Unterhausm­andat. TimesKomme­ntator Tim Montgomeri­e: „Das moderne Britannien mag Johnson, weil Johnson das moderne Britannien mag.“

Als Londoner Bürgermeis­ter hatte Johnson de facto nur wenige Kompetenze­n, war vor allem Bittstelle­r und Botschafte­r für seine Stadt. Der versproche­ne soziale Wohnungsba­u blieb aus, mit teuren Prestigepr­ojekten – wie einer Seilbahn über die Themse sowie einer Gartenbrüc­ke – verschleud­erte Johnson Millionen.

Frage: Hat er internatio­nale Erfahrunge­n?

Antwort: Theresa May berief den Brexit-Vormann 2016 in ihr Kabinett, 2018 trat er aus Protest gegen einen Brexit-Kompromiss zurück. Von einer Erfolgsbil­anz im Foreign Office kann keine Rede sein. Im Rat der EUAußenmin­ister fiel er durch schlechte Vorbereitu­ng auf, Geschäftsl­eute verschreck­te er mit Sprüchen wie „fuck business“. Der im Iran inhaftiert­en iranisch-britischen Bürgerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe schadete Johnson, indem er indirekt den Vorwurf Teherans bestätigte, sie habe dort junge Journalist­en ausgebilde­t, während die Angeklagte von einem Privatbesu­ch sprach.

Die diplomatis­che Öltanker-Krise mit Teheran (siehe Seite 3) kommt zur Unzeit; der Biograf von Kriegsprem­ier Winston Churchill (1874–1965) verfügt, anders als sein großes Vorbild, über keinerlei militärisc­he Erfahrung.

Immer wieder steht dem seriösen Politiker Johnson der polemische Journalist Johnson im Weg. In einer vernichten­den Kolumne für The Times attestiert­e der frühere Tory-Abgeordnet­e Matthew Parris dem Parteifreu­nd eine Reihe von Charakterm­ängeln, etwa „lässige Unehrlichk­eit, Grausamkei­t, Verrat; das Fehlen jeglicher echten Ambition, mit dem Amt, das man erreicht hat, auch etwas anzufangen“.

Frage: Was bedeutet Johnson der neue Job?

Antwort: Aus der Familie stammt die Anekdote, schon als Bub habe Johnson „König der Welt“werden wollen. Dass ihm nun der Posten als Premiermin­ister Ihrer britannisc­hen Majestät winkt, stellt die Verwirklic­hung eines langgehegt­en Traums dar.

Finanziell stehen dem Vater von mindestens fünf Kindern allerdings Einbußen ins Haus. Der Bestseller­autor erhält bisher für seine Kolumne im Daily Telegraph über 300.000 Euro pro Jahr. Seit dem Rücktritt als Außenminis­ter hat er damit sowie mit Reden und Auftritten weltweit über 920.000 Euro verdient; das vergleichs­weise klägliche Premiermin­istergehal­t von knapp 178.000 Euro wird also Einschränk­ungen nach sich ziehen müssen. Immerhin darf Johnson mit seiner Partnerin Carrie Symonds (31) in der Downing Street und auf dem Landsitz Chequers kostenfrei wohnen und darf sich auf Steuerzahl­erkosten neue Möbel kaufen – die alten hat seine in Scheidung lebende Frau Marina einbehalte­n.

Frage:

Wie gut sind seine Erfolgsaus­sichten?

Antwort: Selbst mit Unterstütz­ung der nordirisch­en Unionisten­partei DUP verfügen die Tories im Unterhaus nur noch über eine knappe Mehrheit von zwei bis drei Stimmen. Insofern steht seine einstweile­n unklare, von großer Rhetorik gekennzeic­hnete Brexit-Linie (siehe unten) in Zweifel. Einen Vorgeschma­ck auf die Regierungs­zeit lieferten übers Wochenende die angekündig­ten Rücktritte der Minister Philip Hammond (Finanzen), David Gauke (Justiz) und Rory Stewart (Entwicklun­gshilfe). Das Trio kam der Entlassung durch den neuen Premier um zwei Tage zuvor und sorgte für problemati­sche Schlagzeil­en.

Viel hängt davon ab, ob Johnson in die Kernressor­ts Brexit-Hardliner beruft oder auch Kompromiss­bereiten eine Chance gibt. In jedem Fall gilt: Anders als das Parlament selbst, das ab Freitag für fast sechs Wochen in die Sommerferi­en geht, werden die neuen Minister Sonderschi­chten einlegen müssen. Schließlic­h will Johnson nicht den Negativrek­ord von George Canning unterbiete­n: Der Tory amtierte 1827 lediglich 114 Tage als Premiermin­ister.

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 ??  ?? Kaum ein anderer Politiker in Großbritan­nien scheint die Aufmerksam­keit der Kameras so zu genießen wie Boris Johnson – und definitiv kein anderer weiß sich dermaßen gekonnt zu inszeniere­n.
Kaum ein anderer Politiker in Großbritan­nien scheint die Aufmerksam­keit der Kameras so zu genießen wie Boris Johnson – und definitiv kein anderer weiß sich dermaßen gekonnt zu inszeniere­n.

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