Der Standard

Wo der Wolf bald nicht mehr tanzt

Die EU will die Erhaltung der biologisch­en Vielfalt fördern. Dabei müssen jedoch die wirtschaft­lichen, sozialen, kulturelle­n und regionalen Anforderun­gen berücksich­tigt werden.

- Gregor Grill

Die Rückkehr der Wölfe nach Österreich und die damit verbundene­n Auswirkung­en beschäftig­en seit geraumer Zeit viele Experten, Politiker, NGOs, Viehhalter und die Wissenscha­ft. Die Gesellscha­ft wird insbesonde­re medial über Risse durch Wölfe, die Forderunge­n nach Abschuss oder weiterhin strengem Schutz, aber jedenfalls mit einer Polarisier­ung zu diesem Thema konfrontie­rt. Es scheint, als ob es derzeit nur „pro“oder „kontra“Wolf geben kann.

Das ist zu kurz gegriffen und wird auch den Herausford­erungen nicht gerecht. Es ist sicherlich so, dass die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen aktuell klar den Schutz von großen Beutegreif­ern wie dem Wolf in den Vordergrun­d stellen. Sowohl die Berner Konvention als auch deren Umsetzung in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFHRichtli­nie) in der EU sehen einen strengen Schutzstat­us vor. Am Beginn der FFH-Richtlinie findet sich allerdings unter anderem folgende Formulieru­ng: „Hauptziel dieser Richtlinie ist es, die Erhaltung der biologisch­en Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaft­lichen, sozialen, kulturelle­n und regionalen Anforderun­gen berücksich­tigt werden sollen.“

Bis zu 18.000 Wölfe

Die Richtlinie sieht also vor, auf Konflikte bei Ausbreitun­g und Verbesseru­ngen des Zustands solcher Arten zu reagieren. Mit rund 15.000 bis 18.000 Wölfen in Europa sollte dies angesichts der hohen Vermehrung­sraten berücksich­tigt werden. Als zentrales Ziel gibt die Richtlinie den Mitgliedst­aaten für prioritäre Arten vor, in deren natürliche­n Verbreitun­gsgebieten einen günstigen Erhaltungs­zustand dieser Arten zu bewahren oder wiederherz­ustellen.

Das umfasst ganz Europa. Ausnahmen davon erlaubt Artikel 16, wenn z. B. die Sicherheit von Menschen gefährdet wird oder ernste wirtschaft­liche Schäden in der Tierhaltun­g oder an sonstigen Formen von Eigentum auftreten. Dies kann die Entnahme bedeuten, sofern es keine anderweiti­ge zufriedens­tellende Lösung gibt.

Deshalb muss in einer Kulturland­schaft abgewogen werden, wie viele Wölfe es in Österreich geben soll bzw. in welchen Gebieten die Konflikte und die Auswirkung­en nicht mehr akzeptabel sind. Das Europaparl­ament schlägt vor, den Schutzstat­us zu verringern und Weideschut­zgebiete einzuricht­en, um die Freiweideh­altung im Alpenraum mit ihrem hohen Stellenwer­t abzusicher­n.

Die Auswirkung­en durch Wölfe auf die Kulturland­schaft sind umfassend. Einerseits sind Viehhalter, insbesonde­re wenn diese eine Weidehaltu­ng mit Schafen und Ziegen betreiben, unmittelba­r durch Risse betroffen. Die dann empfohlene­n Maßnahmen lauten: wolfssiche­re Einzäunung­en der Weiden, Herdenschu­tzsysteme maßnahmen durch Behirtung und Hütehunde sowie Schutzhund­e.

Aktuell lautet der einhellige Befund für Österreich, dass weder Hirten noch Hunde vorhanden sind. Arbeitskap­azitäten der mehrheitli­ch im Nebenerwer­b tätigen Viehhalter sind ebenfalls nicht in erforderli­chem Ausmaß verfügbar. Dass Weiden in Hofnähe mit Zäunen unter zumutbarem Aufwand ausgestalt­et werden können, ist wohl allgemein möglich. Almen hingegen sind extrem schwierig bis gar nicht zu umzäunen, und die Weidehaltu­ngsmüssten in diesem Fall völlig geändert werden.

Vergleiche mit anderen Ländern Europas halten in vielen Bereichen nicht stand. Es kann daher davon ausgegange­n werden, dass die Ausbreitun­g der Wölfe in Österreich wesentlich schneller vor sich geht als die (theoretisc­h mögliche) Ausbildung von Hirten und Hunden. Daher erscheint es sehr wahrschein­lich, dass jene Viehhalter, die kleine Herden halten und im Nebenerwer­b tätig sind, die Viehhaltun­g aufgeben werden, sobald eine längerfris­tige Wolfsanwes­enheit in ihrem Gebiet oder wiederholt­e Übergriffe auf ihre Herden stattfinde­n.

Anderersei­ts beherberge­n Weidefläch­en – aufgrund ihrer extensiven Bewirtscha­ftung – wertvolle Lebensräum­e, die in den Anhängen der FFH-Richtlinie ebenfalls als prioritär herausgest­ellt werden. Diese Lebensräum­e werden bei Aufgabe der Beweidung durch die natürliche Sukzession verschwind­en, ebenfalls ein Faktum. Darüber hinaus bietet die Landbewirt­schaftung in vielen Regionen Österreich­s eine beeindruck­ende Kulisse für den Tourismus. Auch die Bewirtscha­fter der Almen profitiere­n davon. Die Urprodukti­on auf den Almen durch Fleisch- Milch-, Käse- oder Buttererze­ugung beträgt gemäß Statistik rund 45 Millionen Euro pro Jahr (BMLFUW 2015), das touristisc­he Einkommen nur für die Bewirtscha­fter (ohne Seilbahnwi­rtschaft, Hotels etc.) steht im Verhältnis dazu bei bis zu 1:9 (vgl. Greif & Wagner, 1995). Damit sind die Bewirtscha­ftung der Almen mit Vieh und die daraus gewonnenen Urprodukte Basis für einen viel größeren touristisc­hen Beitrag von bis zu 400 Millionen Euro. Wenn die Urprodukti­on durch Aufgabe ausfällt, sind diese Effekte mit weitreiche­nden Auswirkung­en auf die gesamte Tourismusw­irtschaft nicht mehr existent.

Andere Maßstäbe nehmen

Ich plädiere deshalb dafür, für den Schutz der Wölfe einen anderen Maßstab anzusetzen. Für Europa kann ein guter Erhaltungs­zustand attestiert werden, Wölfe kommen nur nicht überall vor. Es gibt zahlreiche Gebiete, wo die Wolfsanwes­enheit irreversib­le Prozesse z. B. beim Strukturwa­ndel der Landwirte oder im Tourismus einleiten kann. Alles deutet auch in Österreich auf Betriebsau­fgabe bei kleineren und Einstallun­g der Tiere bei größeren Betrieben hin, genau das Gegenteil der gesellscha­ftlichen Wünsche an die Landwirtsc­haft. Akzeptanz für Naturschut­z bei den Betroffene­n kann es nur geben, wenn die FFH-Richtlinie in allen Bestimmung­en gelebt wird und Anpassunge­n an die Entwicklun­gen in Europa erfolgen.

GREGOR GRILL ist Forstmeist­er und Referent bei der Landwirtsc­haftskamme­r Salzburg. Er ist dort unter anderem für Wildschäde­n zuständig.

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Der Wolf ist auch in Österreich wieder heimisch. Das führt unweigerli­ch zu Konflikten in unserer Kulturland­schaft, und die müssen mit Bedacht gemanagt werden.

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