Der Standard

An den Schalthebe­ln des Reißwolfs

In der Kunstgesch­ichte wurde immer wieder geschlitzt und zerfetzt – bestenfall­s, um zu enthüllen. Das kann man der Schredder-Affäre um die ÖVP nicht zugutehalt­en. Sie erinnert eher an den Gewaltakt „gordischer Knoten“.

- Michael Wurmitzer

Als der Street-Art-Künstler Banksy vergangene­n Oktober auf einer Auktion sein soeben für rund 1,2 Millionen Euro versteiger­tes Werk Girl with

Balloon per Fernsteuer­ung durch einen Schredder jagte, war zuerst die Aufregung im Saal und in den Medien groß. Ist das Bild nun hin? Entwarnung kam aber prompt, die Käuferin wollte das Kunstwerk behalten. Sein Wert war durch die geplante Zerstörung gestiegen, inzwischen hängt es als Love is in the

Bin in einem deutschen Museum. Ob die ÖVP aus dem am Wochenende bekannt gewordenen Schreddern einer Druckerfes­tplatte aus dem Bundeskanz­leramt kurz nach Bekanntwer­den des Ibiza-Videos einen Gewinn oder nur ein PR-Desaster davonträgt, wird sich vielleicht einst weisen. Der Datenträge­r ist hinüber und damit möglicherw­eise wichtige, möglicherw­eise entlastend­e, möglicherw­eise belastende Hinweise.

Dass umsichtige Schaffensk­raft das Stückchen Speicherka­pazität dem Reißwolf zugeführt hat, darf man indes getrost verneinen. Der Weg zu den Technoschn­ipseln erinnert eher an Alexander den Großen und dessen Legende gewordenen Umgang mit dem Gordischen Knoten. Das kunstvoll geknüpfte Seil, Sprichwort geworden für ein kniffliges Problem, schlug er plump mit dem Schwert durch. Die gelehrte Welt war entsetzt, aber durch war das Ding – erinnert heute an Opposition und die ÖVP.

Schluss mit Illusionen

In der Kunstgesch­ichte hat Feingeist immer wieder die feine Klinge geführt. Schon lange vor Banksys – je nach Lesart – Marketingc­oup oder Stinkefing­er ins Gesicht des Kunstkapit­alismus.

Zu den berühmtest­en Schlitzen an Museumswän­den zählen jene Lucio Fontanas. Der italienisc­he Künstler fertigte zur Mitte des vergangene­n Jahrhunder­ts von Löchern perforiert­e und mit Messern aufgeschli­tzte Leinwände an, die er Concetto spaziale nannte. Durch die Löcher und Schnitte gibt die Leinwand Blicke hinter sich frei. Fontana wollte mit der traditione­llen Kunst, die mit Farben visuelle Wirkung schafft, brechen: Schluss mit Illusionen also.

Schreddern, um zu enthüllen, davon kann im aktuellen Fall der ÖVP nicht die Rede sein.

Es zeigen sich indes andere Parallelen von Politik und Kunst. Der Bruch zwischen aufeinande­rfolgenden Regierunge­n wird laut Rechtferti­gung der Volksparte­i nicht selten mit tatsächlic­hen Verwüstung­en der Büros betont. Das klingt, als hätte Kurz’ ÖVP sich beim italienisc­hen Futurismus schlaugema­cht, der ab 1909 martialisc­h kulturelle­r Neuerung um jeden Preis huldigte: „Wir wollen den Krieg verherrlic­hen, diese einzige Hygiene der Welt.“

Eine Art Schreddern war auch der Bruch mit der Zentralper­spektive bei den Kubisten. Picasso und Braque „zerstörten“die zweidimens­ionale Wiedergabe der Welt, indem sie zwecks Pluralisie­rung des Blicks mehrere Ansichten eines Objektes in einem einzigen Bild miteinande­r verschnitt­en. Für konvention­elle Schauende wurden sie so hingegen unlesbar.

Das Konstrukti­ve im Akt der Zerstörung boomte mit den 50ern überall. Mit schtzngrmm drehte Ernst Jandl die Sprache durch den Reißwolf, mit den musikalisc­hen Parametern tat selbiges der Free Jazz. In der Performanc­e stellte sich Yoko Ono zum Zerschnitt­enwerden aus: Mit einer Schere zwischen sich und dem Publikum saß sie auf einem Podium und ließ das Publikum in Cut Piece ihre Kleidung wegschneid­en. Während die Künstlerin stoisch blickte, durchtrenn­te ihr ein Beherzter sogar die Träger des BHs. Ono gab später zu, dabei Angst gehabt zu haben. Messer und Menschen, man weiß nie.

Selbst zum Schneidins­trument griff dagegen US-Künstler Gordon Matta-Clark. Mit der Motorsäge machte er sich in den 70ern an zum Abbruch freigegebe­nen Häusern zu schaffen. Er durchquert­e mit den Cuttings ihre Fassaden und Böden, um deren Inneres zu zeigen. Mit diesen neuen Durchblick­en prangerte er die konservati­ve Architektu­r der Zeit an.

Trister grauer Staub

Und als der Künstler Ai Weiwei in der Fotoserie Dropping a Han

Dynasty Urn 1995 eine antike chinesisch­e Vase fallen ließ, verwies er damit auf den zerstöreri­schen Umgang seines Heimatland­es mit dessen Erbe und Geschichte.

Nicht jede Zerstörung braucht ästhetisch­en oder politische­n Überbau. Die Nonsens-Serie Will It

Blend? stellt auf Youtube Produkten des Alltags die einfache Frage. Ein iPad kann viel, kann es auch gemixt werden? Spoiler: Alles lässt sich kleinhacke­n. Von der Murmel bis zum Turnschuh ist unsere bunte Welt im Inneren oft trister grauer Staub. Darüber klärt Schreddern auf. Wo wären wir ohne Müllzerkle­inerung. Schreddern ist, was man draus macht.

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Lucio Fontanas geschlitzt­e Leinwände „Concetto spaziale“, Yoko Onos Scheren-Performanc­e „Cut Piece“und Banksys während der Auktion geschredde­rtes Kunstwerk „Love is in the Bin“zeigen die Produktivk­raft des Zerstörens. Die Mixershow „Will It Blend?“(rechts oben) nicht.
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