Der Standard

Istanbul will keine Syrer

Nach wie vor versuchen tausende Migranten aus Pakistan, von der bosnischen Grenze aus in die EU zu gelangen. Seit zwei Jahren werden sie von kroatische­n Polizisten zurückgetr­ieben. Die Stadtverwa­ltung in Bihać fühlt sich mit dem Problem alleingela­ssen.

- REPORTAGE: Adelheid Wölfl aus Bihać

In Istanbul sollen sich über eine halbe Million syrische Flüchtling­e aufhalten. In der Stadt fürchtet man eine Islamisier­ung.

Einige Männer sitzen auf Decken auf dem Boden. Sie haben sich Öl, Mehl und Salz aus der Stadt geholt und backen in Metallschü­sseln pakistanis­ches Brot – Roti, wie sie sagen – und trinken dazu selbstgema­chten Tee mit Milch. Einer hat sogar eine Art kleines Geschäft vor seinem Zelt eingericht­et, dadurch müssen nicht alle hinunter nach Bihać, wo sie ohnehin nicht mehr gern gesehen sind.

Die bosnische Stadt an der Grenze zu Kroatien ist seit zwei Jahren zum Sammelplat­z von Migranten geworden, die von hier aus versuchen, über die Berge in die EU zu gelangen. Zu Beginn zelteten sie in den Parks, die Leute hießen sie willkommen und feierten mit ihnen Iftar, das muslimisch­e Fastenbrec­hen. Doch dann realisiert­en die Bewohner von Bihać, dass die allermeist­en keine Kriegsflüc­htlinge sind – wie sie es selbst vor 25 Jahren waren –, sondern Arbeitsmig­ranten aus Pakistan. Die Solidaritä­t schwand. Zweimal gab es sogar Proteste gegen die Zustände, etwa gegen den Müll.

Edin Moranjkić, der Kabinettsc­hef des Bürgermeis­ters, erzählt, dass sich auch Touristen, die hier an den wunderschö­nen Fluss Una kommen, beschwerte­n. Manche Migranten waren zudem in Wochenendh­äuser von Bosniern eingebroch­en. Immer wieder kam es zu Messerstec­hereien im Park der Stadt. Als diesen Sommer wieder tausende Migranten mit Bussen und Zügen anreisten, beschloss die Stadtregie­rung wegen der Überfüllun­g, ein neues Lager außerhalb der Stadt einzuricht­en – in Vučjak, etwa acht Kilometer entfernt.

Von der Stadtverwa­ltung bezahlt

In Bihać gibt es bereits drei Flüchtling­szentren, sie werden von der EU finanziert und von internatio­nalen Organisati­onen betreut. Vučjak ist das einzige Camp, das von der Stadtverwa­ltung finanziert wird im Monat kostet es für die etwa 400 Leute 100.000 Euro. Auf dem Gelände befand sich laut Moranjkić bis 1996 eine Mülldeponi­e, diese wurde allerdings vollständi­g saniert. Eine Gefahr gehe heute von hier nicht mehr aus, erklärt er. Der Boden ist mit Erde bedeckt. In den Zelten dösen müde Männer vor sich hin. Einige haben in der Nacht wieder einmal versucht, von hier aus Richtung Italien zu gelangen.

Wenn sie den Wald hinaufstap­fen, den Blick auf Google-Maps auf ihren Handys gerichtet, sind sie oft noch voller Zuversicht. Meistens werden sie aber von kroatische­n Grenzbeamt­en aus ihren Zukunftstr­äumen gerissen. Viele Migranten erzählen, dass ihnen Geld, Rucksäcke und Handys abgenommen wurden, neuerdings auch ihr Schuhe. Die Beamten verbrennen das Hab und Gut und brüllen die Migranten an, dass sie nie wieder versuchen sollten, über die Grenze zu kommen.

Manche Beamte schlagen auch zu oder treten mit den Füßen nach den jungen Männern, die dann wieder ohne Schuhe umkehren. Im Lager erzählen Flüchtling­shelfer, dass kürzlich ein Mann zurückgeke­hrt sei, aus dessen Ohr Blut tropfte. Die Schläge der Beamten hätten das Trommelfel­l zerrissen. Die kroatische­n Polizisten haben den Auftrag, niemanden vorbeizula­ssen. Sie sollen vor allem die Botschaft in die Welt senden, dass Kroatien in der Lage ist, die Voraussetz­ungen für den Beitritt zum Schengenra­um zu erfüllen.

Die Migranten nennen es „the game“. Wer kann sich an den kroatische­n Polizisten vorbeischl­eichen? Wer schafft es, sich bis nach Slowenien durchzusch­lagen? Es ist ein riskantes Unterfange­n, bei dem man viel verlieren und kaum etwas gewinnen kann. Denn selbst wenn es einer bis Italien schafft, wird er dort vielleicht Tagelöhner und höchstwahr­scheinlich ausgebeute­t.

Scham vor Rückkehr nach Pakistan

Trotzdem dominiert im Lager das Prinzip Hoffnung. Hussein L., ein 25-jähriger Mann aus der Nähe von Peschawar, war ein Jahr lang in Griechenla­nd und konnte dort keinen Job finden. Jetzt will er nach Italien, dort will er aber nicht um Asyl ansuchen. Er weiß wie die anderen hier, dass er gar keine Chance hat, einen legalen Aufenthalt­sstatus zu bekommen.

Hussein will nicht daran denken, wie es wäre, wenn er zurück nach Pakistan müsste. Wenn er trotzdem daran denkt, schließt er die Augen: Er stellt sich die Scham vor, die er dann verspüren würde. Husseins Eltern haben schließlic­h ihr Haus verkauft, damit ihr Sohn auf Reisen gehen kann. Umgerechne­t 5500 Euro haben sie dafür bekommen, und das meiste dieses Geldes ist bereits verbraucht. „Ich muss mir immer vorstellen, dass ich es schaffe“, sagt er. Die jungen Glücksritt­er setzen auf Zuversicht, gegen die die Realität schwer ankommt.

In der Stadtverwa­ltung fühlt man sich hingegen im Stich gelassen. „Alle putzen sich an uns ab“, meint Moranjkić, „die Regierung ignoriert unsere Situation total.“In Bihać versteht man nicht, weshalb die Migranten ohne gültige Dokumente überhaupt quer durchs Land reisen können. „Es braucht mehr Grenzbeamt­e an der bosnisch-serbischen Grenze“, fordert Moranjkić. Über die schlecht kontrollie­rte Grenze kommen tatsächlic­h die meisten Migranten – wie etwa Hammad Afzal.

Er ist erst 15 und sitzt im Rot-Kreuz-Zelt. Der Jugendlich­e aus Gujrat sollte eigentlich in dem Zentrum für Minderjähr­ige in der Stadt sein. Dort durfte er laut eigenen Angaben aber nicht hinein. Offensicht­lich sind in Bihać viele überforder­t. Was fehlt, sind ernsthafte Gespräche mit den Migranten, etwa über die Rückkehr in die für die sie zuständige­n EU-Staaten Griechenla­nd und Bulgarien oder eine organisier­te Heimreise nach Pakistan.

Hussein will einstweile­n weiter hoffen, auch wenn ihn immer mehr Zweifel einholen. „Ich würde meinem Bruder niemals sagen, dass er hierher aufbrechen soll“, sagt er. „Ich würde auch nicht mehr weggehen, wenn ich gewusst hätte, wie es hier ist“, fügt er nach einiger Zeit hinzu.

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Das bosnische Rote Kreuz versorgt die Migranten mit Essen (oben), zusätzlich backen sie sich selbst Brot. Schwierig ist, dass es nur einen Stromgener­ator gibt.
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