Der Standard

Die neue Volksp

Die Affäre Reisswolf weitet sich aus: Offenbar wurden fünf Festplatte­n aus dem Kanzleramt vernichtet – mindestens. Das setzt dem ÖVP-Chef zu.

- Michael Völker, Maria Sterkl, Renate Graber

Dem Team von Sebastian Kurz ist ein weiterer bedauerlic­her Fehler unterlaufe­n: Es war nun also doch nicht nur eine Festplatte, die ein Mitarbeite­r unter falschem Namen (der erste bedauerlic­he Fehler) zum Schreddern zur Firma Reisswolf gebracht hat, es waren gleich fünf Festplatte­n, wie man jetzt einräumen muss. Ursprüngli­ch behauptete die ÖVP, es handle sich um eine einzige Druckerfes­tplatte. Tatsächlic­h hat der Mitarbeite­r des früheren Kanzlers Kurz nach Auffliegen der IbizaAffär­e aber die Festplatte­n aus allen Druckern im Umfeld des Bundeskanz­lers ausgebaut, um sie vernichten zu lassen.

Dreimal geschredde­rt

Der Falter beschreibt den Vorgang unter Berufung auf Mitarbeite­r der Firma Reisswolf im Detail: Arno M., der im Kanzleramt für den Social-Media-Auftritt von Kurz zuständig war, gab das Schreddern unter falschem Namen in Auftrag, nämlich „Walter Maisinger“– und legte eigens für die Festplatte­nvernichtu­ng sogar eine E-Mail-Adresse auf diesen Namen an. Laut den ReisswolfM­itarbeiter­n habe er extrem nervös gewirkt. Nach dem Schreddern der Festplatte­n habe er das, was noch übrig blieb, noch einmal durch den Reißwolf laufen lassen, bis am Ende nur noch Staub durchriese­lte. Einmal hätte gereicht, um die Datenträge­r nachdrückl­ich zu vernichten. Danach bestand M. auch noch darauf, den Staubüberr­est mitzunehme­n, heißt es.

Da der Kurz-Mitarbeite­r die läppische Rechnung von 76,45 Euro trotz mehrerer Mahnungen nicht bezahlte, erstattete die Firma eine Betrugsanz­eige. Der Mann war leicht auszuforsc­hen: Er hatte seine richtige Telefonnum­mer angegeben. Mittlerwei­le waren aber auch die Mitarbeite­r von Reisswolf auf M. alias Maisinger gestoßen: Sie identifizi­erten ihn als jenen Mann, der bei der im Fernsehen übertragen­en Abschiedsr­ede von Sebastian Kurz nach dessen Absetzung durch das Parlament im Springer-Schlössl der Parteiakad­emie links hinter ihm stand.

Die Betrugsanz­eige wanderte über die Korruption­sstaatsanw­altschaft zur Sonderkomm­ission Ibiza der Polizei: Der Zeitpunkt der Datenverni­chtung legte einen Zusammenha­ng mit der Publikatio­n des Ibiza-Videos nahe. Am 23. 5. wurde M. mit den Festplatte­n bei der Firma Reisswolf vorstellig. Eine knappe Woche davor, am 17. Mai, hatten Süddeutsch­e Zeitung und Spiegel das Ibiza-Video mit Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus veröffentl­icht. Vier Tage danach, am 27. Mai, geht der Misstrauen­santrag gegen Kurz als Kanzler im Parlament durch.

Belastende­r Mailverkeh­r

In der ÖVP wird jeglicher Zusammenha­ng mit dem Ibiza-Video heftig dementiert. Auch in Umlauf gebrachte E-Mails, die belegen sollen, dass Kurz und Kanzleramt­sminister Gernot Blümel bereits im Februar von dem belastende­n Video wussten, seien Fälschunge­n, heißt es aus der Volksparte­i.

Fest steht, die Korruption­sstaatsanw­älte weiteten ihre Ermittlung­en nun auch um die Causa Reisswolf aus. Welchen Tatverdach­t sie hier prüfen und ob er sich gegen Arno M. und womöglich auch andere ÖVP-Funktionär­e oder Mitarbeite­r von Kurz richtet, wird nicht bekanntgeg­eben: Es handle sich um einen Verschluss­akt, heißt es nur. Im Kanzleramt sind Ermittlung­sbeamte aber bereits vorstellig geworden.

Kritik an Polizei

Dem Vernehmen nach dürften einige Justizmita­rbeiter über die Ermittlung­sarbeit der Polizei im Fall Reisswolf nicht ganz glücklich sein: Die Beamten hätten zwar in M.s Kalender nachgescha­ut, welche Termine er im zeitlichen Nahraum des Schredder-Termins und der Videos hatte, sein Handy, die darin gespeicher­ten Kontakte und Nachrichte­n in jenen Zeiträumen seien aber nicht abgecheckt worden.

Inzwischen hat der frühere Social-Media-Beauftragt­e Arno M. jedenfalls alle seine Accounts gelöscht, wenn auch nicht ganz vollständi­g. Einige Fotos aus seiner vielfältig­en Reisetätig­keit mit ExMinister und Ex-Kanzler Kurz sind noch abrufbar – unter anderem posiert Kurz hier im Mai 2017 mit KTM-Chef Stefan Pierer, der wie berichtet im selben Jahr knapp eine halbe Million Euro für den Wahlkampf von Sebastian Kurz gespendet hat.

Seinen Auftraggeb­er im Kanzleramt schützt M. übrigens. Es sei ihm „nicht mehr erinnerlic­h“, von wem er den Auftrag zum Schreddern erhalten habe, gab er bei der Polizei an.

Wie aber steht es rechtlich um die sinistre Schredder-Aktion unter falschem Namen? Neben dem Verdacht auf Betrug stellt sich auch die Frage eines datenschut­zrechtlich­en Vergehens. Dafür kommt es aber darauf an, welche Daten auf den Festplatte­n zu finden waren und ob es sich um Akten des hoheitlich­en Vollzugs handelte, also beispielsw­eise Ministerra­tsvorträge, oder um Inhalte, die der politische­n Ebene zurechenba­r sind, erklären Datenschut­zexperten dem STANDARD.

Geht es um Vollzugsag­enden, dann sind diese zu archiviere­n. Ein Schreddern dieser Akten wäre ein Verstoß gegen das Archivgebo­t.

Mitarbeite­r müssen jedenfalls eine „Verpflicht­ungserklär­ung zur Nutzung der Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechni­ksysteme des Bundeskanz­leramtes“unterzeich­nen. Dem Vernehmen nach hat Arno M. das nicht unterschri­eben, was auch seine Vorgesetzt­en unter Druck bringen könnte.

ÖVP auf Themensuch­e

Der ÖVP ist die ganze Affäre höchst unangenehm. Dass Kurz jetzt direkt mit solchen zwielichti­gen Machenscha­ften in Zusammenha­ng gebracht wird, lässt den Start in den Wahlkampf ordentlich holpern. Das Image der neuen Volksparte­i unter Kurz ist damit fürs Erste beschädigt. Den Strategen in der ÖVP wäre es recht, wenn das Thema so rasch wie möglich von der Tagesordnu­ng verschwänd­e. Dazu muss man eigene Themen setzen. Es wird bereits gesucht.

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