Der Standard

Boris Johnson siegt und verspricht Brexit-Lösung

„Neue Energie“werde er seinen Landsleute­n einflößen, verheißt der neue Chef der britischen Konservati­ven. Und an die EU gewandt spricht er plötzlich doch von „Freundscha­ft und Kooperatio­n“. Also kein harter Brexit?

- Sebastian Borger aus London

Wie erwartet, wird Boris Johnson neuer britischer Premiermin­ister. In der Urwahl durch die Mitglieder der konservati­ven Partei besiegte der 55-jährige frühere Außenminis­ter seinen Amtsnachfo­lger Jeremy Hunt mit Zweidritte­lmehrheit. Nächster Schritt: die Amtsüberga­be der Regierungs­geschäfte durch Theresa May. Er werde den Brexit bewerkstel­ligen und „dem Land neue Energie einflößen“, beteuerte der neue Tory-Vorsitzend­e am Dienstag in London.

Die Veranstalt­ung begann verspätet, die Reden diverser Parteifunk­tionäre vermochten die Stimmung nicht anzuheizen. Die Leiterin des Fraktionsa­usschusses 1922, Cheryl Gillan, gab schließlic­h das Ergebnis bekannt, mit dem seit Monaten gerechnet worden war.

Immerhin 87 Prozent der knapp 160.000 stimmberec­htigten Parteimitg­lieder hatten sich an der Abstimmung beteiligt, 66,4 Prozent unterstütz­ten den haushohen Favoriten. Damit verzeichne­te Johnson knapp weniger Zustimmung als sein langjährig­er Rivale und Amtsvorgän­ger David Cameron, der 2005 mit 68 Prozent ins Parteiamt kam. May hingegen hatte sich 2016 mangels Konkurrenz der Urwahl nicht stellen müssen.

„Good morning“

Als Johnson endlich seine Dankesrede beginnen kann, hat die Mittagsstu­nde bereits geschlagen, nach englischer Gepflogenh­eit müsste der frischgeba­ckene neue Vorsitzend­e die versammelt­en Parteifreu­nde also mit „Good afternoon“begrüßen. Im Eifer des Gefechts aber fehlt dem designiert­en Premiermin­ister die Zeit für den Blick auf die Uhr. „Guten Morgen zusammen“, ruft Johnson also in den Saal, ehe er die große Geschichte seiner Partei beschwört. In den vergangene­n 200 Jahren hätten stets die Konservati­ven „die besten Einblicke in die menschlich­e Natur“besessen, sei es den Tories am ehesten gelungen, den Instinkt zu Egoismus und zu Kooperatio­n zugunsten der Armen und Schwachen in Balance zu halten.

Eine ähnliche Aufgabe warte nun auf seine Regierung. „Wieder müssen wir zwei Bedürfniss­e in Einklang bringen“, sagte Johnson: der Wunsch nach Freundscha­ft und enger Kooperatio­n mit den europäisch­en Nachbarn – und das „ebenso tief gefühlte“Verlangen nach demokratis­cher Selbstverw­altung.

Reicht der Brexit-Vorkämpfer da seinen Skeptikern einen Ölzweig zur Versöhnung? Die Rhetorik während seiner Kampagne um den Chefposten hatte ja eher den unbedingte­n Willen zum EUAustritt am 31. Oktober betont, „komme, was da wolle“. Aber der neue Mann weiß natürlich auch: Sollte er sich von den Brexit-Ultras wirklich in den chaotische­n EU-Austritt („no deal“) drängen lassen, dürfte ihm zu einem Dutzend Abgeordnet­er die Gefolgscha­ft verweigern oder sogar die Fraktion verlassen.

Zu Wochenbegi­nn sind deshalb zwei Staatssekr­etäre bereits zurückgetr­eten, Justizmini­ster David Gauke vollzog den Schritt wenige Minuten nach Johnsons Wahl, die Minister Philip Hammond (Finanzen) und Rory Stewart (Entwicklun­gshilfe) wollen mit ihrer alten Chefin May demissioni­eren.

Dass die Lage schwierig ist, scheinen instinktiv auch die Delegierte­n in der Kongressha­lle zu spüren. Der neue Chef zitiert die

Financial Times, wonach die Brexit-Aufgabe ziemlich „einschücht­ernd“sei, und stellt die Frage: „Seid Ihr eingeschüc­htert?“Statt des erhofften „Nein“reagiert der Saal mit Schweigen. Johnson ist viel zu routiniert, um sich davon irritieren zu lassen. Aber die „neue Energie“, von der er spricht, scheint sich auf seine Zuhörersch­aft noch nicht zu übertragen.

Erste Gratulante­n

Kurz danach die ersten Glückwünsc­he. US-Präsident Donald Trump gratuliert fälschlich zur Amtsüberna­hme als Premiermin­ister, die erst Mittwochna­chmittag erfolgt. EU-Brexitverh­andler Michel Barnier bietet konstrukti­ve Gespräche an, „um den Austrittsv­ertrag zu verabschie­den“– ein Hinweis auf Johnsons zentrales Dilemma: Während die EU-27 auf dem Text ausgehande­lten Vertrag bestehen, will Johnson die Passagen zur nordirisch­en Auffanglös­ung („backstop“) verändern oder gar löschen.

Der Position der neuen zuständige­n Ministerin kommt deshalb eine Schlüssels­tellung zu, ebenso wie den Ressortche­fs für Finanzen, Inneres und Verteidigu­ng. Und mitten in der schwelende­n Krise am Persischen Golf spricht vieles dafür, Johnsons Rivalen Jeremy Hunt vorerst im Außenamt zu belassen.

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Seine Chancen darauf, britischer Premier zu werden, verglich Boris Johnson vor Jahren einmal mit der Chance, als Olive oder Elvis wiedergebo­ren zu werden. Premiermin­ister wird er jetzt jedenfalls.

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