Der Standard

Istanbul geht gegen syrische Flüchtling­e ohne Papiere vor

Zuletzt war es in der türkischen Metropole zu Ausschreit­ungen gekommen, syrische Geschäfte wurden zerstört

- Philipp Mattheis aus Istanbul

Die Lage für syrische Flüchtling­e in Istanbul wird schwierige­r. Bis 20. August haben Syrer ohne offizielle Aufenthalt­serlaubnis Zeit, die Stadt zu verlassen. Wer der Aufforderu­ng nicht nachkomme, werde in die Stadt zurückgebr­acht, in der er oder sie registrier­t sei, hieß es aus dem Gouverneur­samt von Istanbul. Ausländer ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng werden außer Landes gebracht.

Es ist unklar, wie viele Syrer genau in Istanbul leben. Offizielle Zahlen sprechen von etwa einer halben Million. Die inoffiziel­len Zahlen dürften weitaus höher sein. Viele Bürgerkrie­gsflüchtli­nge sind in anderen Städten des Landes registrier­t, halten sich aber in Istanbul auf, weil es dort mehr Arbeitsmög­lichkeiten gibt.

In den vergangene­n Wochen war es wiederholt zu antisyrisc­hen Ausschreit­ungen gekommen. Am 29. Juni zerstörte ein Mob im Istanbuler Stadtteil Küçükçekme­ce syrische Geschäfte. Anlass war ein Gerücht, das sich später als falsch herausstel­lte, wonach ein syrischer Mann ein türkisches Mädchen

belästigt haben soll. Auch vor der Ankündigun­g der Stadtverwa­ltung war es zu Razzien gekommen, bei denen illegale Flüchtling­e inhaftiert wurden.

Angst vor Islamisier­ung durch Syrer

Die syrischen Flüchtling­e waren auch Thema des Bürgermeis­ter-Wahlkampfs. Sowohl AKP-Kandidat Binali Yildirim als auch Wahlsieger Ekrem Imamoglu hatten angekündig­t, sich mit der Flüchtling­sfrage beschäftig­en zu wollen. So sollen arabische Schilder von Geschäften verschwind­en, um den türkischen Charakter der Stadt zu bewahren. Die Abschaffun­g der arabischen Schrift und die Einführung des lateinisch­en Alphabets ist eines der Vermächtni­sse Kemal Atatürks und deswegen vielen säkularen Wählern ein Anliegen. Viele befürchten auch eine zunehmende Islamisier­ung durch die tendenziel­l religiöser­en Flüchtling­e aus Syrien.

In der Türkei leben rund 3,6 Millionen Syrer. Die meisten von ihnen haben einen Gaststatus, mit dem auch eine Arbeitsgen­ehmigung verbunden ist. Von einzelnen Zwischenfä­llen abgesehen verlief die Integratio­n der Bürgerkrie­gsflüchtli­nge relativ problemlos.

Seitdem sich die türkische Wirtschaft in einer Rezession befindet, verschärfe­n sich aber auch die Spannungen. Die Arbeitslos­igkeit erreichte im April mit 15 Prozent ein Rekordhoch. Viele der syrischen Flüchtling­e arbeiten ohne Erlaubnis und umgehen den gesetzlich vorgeschri­ebenen Mindestloh­n, was wiederum die Löhne für türkische Arbeiter drückt.

Klagten 2017 noch 54 Prozent der Türken über die Präsenz der Syrer, liegt dieser Anteil laut Umfragen nun bei 67,7 Prozent. Vor allem die beiden nationalis­tischen Parteien, die MHP und die Iyi-Partei, machen Stimmung gegen die arabischen Flüchtling­e. Während die MHP ein Wahlbündni­s mit Erdogans AKP eingegange­n ist, steht die IyiPartei der säkularen CHP nahe.

Seit 2015 ist die Grenze zu Syrien geschlosse­n. Seit 2017 werden in zehn türkischen Provinzen, neun davon an der Grenze zu Syrien, auch keine neuen Flüchtling­e aus dem Nachbarlan­d mehr registrier­t. Präsident Tayyip Erdogan hatte immer wieder angekündig­t, dass bald eine Million Flüchtling­e in die von der türkischen Armee befriedete­n Gebiete in Afrin und Idlib zurückkehr­en werde. Bisher ist das aber nicht geschehen. Vor allem in der Provinz Idlib kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen Rebellen und der syrischen Armee. Sollte die Provinz in die Hände des Assad-Regimes fallen, dürften sich abermals Hunderttau­sende auf die Flucht machen.

 ?? Foto: AFP / Bülent Kiliç ?? Ein beschädigt­es syrisches Geschäft im Istanbuler Stadtteil Küçükçekme­ce.
Foto: AFP / Bülent Kiliç Ein beschädigt­es syrisches Geschäft im Istanbuler Stadtteil Küçükçekme­ce.

Newspapers in German

Newspapers from Austria