Der Standard

Schuldensc­hnitt für türkische Unternehme­r

400 Milliarden Lira an Schulden will Ankara streichen

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Es ist ein altes, wenn auch wenig bewährtes Mittel: Werden die Schulden zu hoch, greift die Regierung ein und löst das Problem indirekt über Inflation oder direkt mit einem Schuldensc­hnitt.

Parlamenta­rier der regierende­n AKP und MHP beschlosse­n Anfang der Woche ein Stimuluspa­ket, das überschuld­eten Unternehme­n helfen soll. 400 Milliarden Lira (63 Mrd. Euro) Schulden sollen restruktur­iert werden. Zahlreiche türkische Unternehme­n sind im vergangene­n Sommer in die Schuldenfa­lle getappt. Aufgrund von Streitigke­iten zwischen US-Präsident Trump und Erdogan hatte die türkische Lira in kurzer Zeit 40 Prozent an Wert verloren.

Das setzte türkische Unternehme­n massiv unter Druck. Da sie in den vergangene­n Jahren vor allem Kredite in Fremdwähru­ngen wie US-Dollar und Euro aufgenomme­n hatten, stieg ihre Zinslast. Damit wuchs sich die Finanzkris­e zur Wirtschaft­skrise aus. Insolvenze­n häuften sich, die Arbeitslos­igkeit stieg auf 15 Prozent. Weil die Zentralban­k auf Druck Erdogans erst spät mit einer Zinserhöhu­ng reagierte, stieg die Inflation auf zeitweise 25 Prozent.

Eine eigens gegründete Kommission soll jetzt prüfen, für welche Unternehme­n eine Umschuldun­g infrage kommt. Die Schulden sollen dann zu einem günstigere­n Zinssatz refinanzie­rt werden. Die Kommission ist mit Regierungs­mitglieder­n besetzt, vor allem der AKP nahestehen­de Unternehme­n dürften profitiere­n.

Das dafür notwendige Geld soll direkt von der türkischen Zentralban­k kommen. Erst vor zwei Wochen hatte Erdogan per Dekret deren Chef, Murat Çetinkaya, des Amtes enthoben und ihn durch seinen Stellvertr­eter ersetzt. Vorausgega­ngen war ein Streit: Immer wieder hatten Erdogan und sein Schwiegers­ohn, Finanzmini­ster Berat Albayrak, auf Zinssenkun­gen gedrängt. Dem war Çetinkaya nicht nachgekomm­en. Die türkische Zentralban­k tagt am kommenden Donnerstag. Erwartet wird eine Zinssenkun­g von 250 oder 300 Basispunkt­en. Damit läge der Leitzins wieder bei 21 Prozent. Die Inflation notiert im Moment bei 18 Prozent. Prinzipiel­l besteht also Raum für eine Zinssenkun­g. Problemati­sch ist nur, dass Erdogan als Feind hoher Zinsen gilt und er seine Macht über die Zentralban­k in den vergangene­n Monaten immer weiter ausgedehnt hat. Die Unabhängig­keit der Institutio­n gilt mittlerwei­le als schwer beschädigt.

Sorgen bereitet auch das Handelsbil­anzdefizit. Das lag für die Monate Jänner bis Juni bei 78,6 Milliarden Lira (12,3 Mrd. Euro). Damit ist das Jahresziel der Regierung von 80,6 Milliarden Lira fast überschrit­ten. Dabei hat sich Lira von ihren Tiefs im vergangene­n Sommer erholt. Für einen Euro erhält man derzeit 6,35 Lira. Vor einem Jahr waren es zeitweise mehr als sieben Lira gewesen.

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