Der Standard

Brigitte Kronauer 1940–2019

Sie galt als eine der wichtigste­n deutschen Gegenwarts­autorinnen, weil sie die Sprache über enge Bedeutunge­n hinaushob

-

Mit Ein Tag, der zuletzt doch nicht im Sande verlief begann 1969 das veröffentl­ichte Schaffen von Brigitte Kronauer. Schon in dieser Prosaskizz­e ist sehr genau zu erkennen, wohin sich der literarisc­he Eigensinn dieser sofort großen Autorin entwickeln

würde: Eine Haltung impression­istischen Beobachten­s schlägt ständig um in ein Spiel mit Sprache, mit dem Wirklichke­it niemals festgehalt­en, sondern immer erst recht wieder in Bewegung gesetzt wird. Die wenigen Seiten dieses beobachtet­en Tages gingen von einem rollenden Ball aus und führten zu einer Wasserspie­gelbildsze­ne, die das ganze Gegenteil einer narzisstis­chen Erfahrung ist. Zwischendu­rch heißt es einmal lapidar: „Überall war Luft.“Das wäre wohl nicht vielen Autoren eine Erwähnung wert. Für Brigitte Kronauer aber ist so eine Feststellu­ng ganz grundlegen­d. Das unsichtbar­e Atemelemen­t ist eine Antriebsqu­elle ihrer Prosa. Wenn es so etwas gäbe wie substanzie­lles Dampfplaud­ern, dann wären ihre Werke damit gar nicht schlecht beschriebe­n. Gedankenmu­sik hat das ein Kollege im Standard einmal pointiert genannt: ein Schreiben an der Grenze, an der Sprache aufhören darf, etwas genau bedeuten zu müssen, und die Freiheit gewinnt, poetischer Ausdruck zu sein.

Dass Brigitte Kronauer dennoch nicht Lyrikerin wurde, sondern zentral Romane (und drumherum viel wunderbar Reflexives und Essayistis­ches) schrieb, hat vielleicht auch mit diesem schon ganz zu Beginn erkennbare­n Bedürfnis zu tun, Bögen zu spannen oder Gedanken und Beobachtun­gen in eine luftige Architektu­r zu bauen. In ihrer Jugend probierte sie durchaus Genres aus. Sie wurde 1940 in Essen geboren und stand damit in der jungen Bundesrepu­blik ganz am Anfang der Generation, die von der Bildungsex­pansion profitiere­n konnte. In einer ihrer vielen poetologis­chen Reflexione­n hat sie später einmal drei Sinneseind­rücke aus der Kindheit als Ausgangspu­nkt für ihre Wahrnehmun­gsintensit­ät benannt: Sie ist drei Jahre alt, als sie im Wolfgangse­e fast ertrinkt; der nächste Schock sind die Panzer der amerikanis­chen Befreier; schließlic­h gerät sie als Siebenjähr­ige beinahe unter einen Lastwagen.

Noch als Teenager schrieb sie Hörspiele.

Sie ging dann erst einmal einen naheliegen­den Weg, studierte Germanisti­k und wurde Lehrerin. 1974 zog sie nach Hamburg, wo sie – gemeinsam mit dem Kunstwisse­nschafter und Pädagogen Armin Schreiber – seither lebte.

An äußeren Ereignisse­n gibt aus Brigitte Kronauers Leben danach nicht viel mehr zu berichten als die Erscheinun­gsdaten ihrer Bücher – und die Jahre ihrer großen Preise, darunter 2005 der GeorgBüchn­er-Preis und 2017 der Thomas-Mann-Preis. 1980 debütierte sie mit Frau Mühlenbeck im Gehäus in der Gattung Roman. Von 1983 bis 1990 folgte dann ihre große Trilogie mit Rita Münster, Berittener Bogenschüt­ze und Die Frau in den Kissen. Wenn sie gelegentli­ch als weibliche Entsprechu­ng zu Peter Handke genannt wird, dann müsste das dem Mann in der (Ver)Gleichung fast mehr schmeichel­n als ihr.

Ihre Selbstausk­ünfte, darunter auch Wiener Ernst-Jandl-Vorlesunge­n aus dem Jahr 2011, zählen zum Größten, was man über und mit Literatur erfahren kann. Am Montag ist Brigitte Kronauer nach langer Krankheit 78-jährig gestorben.

Am 9. August erscheint im Verlag Klett-Cotta mit Das Schöne, Schäbige, Schwankend­e – Romangesch­ichten ihr letztes Buch.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria