Der Standard

Auf Zeitreise mit Kurt Gödel

Vor 70 Jahren zeigte der Mathematik­er Kurt Gödel, dass Zeitreisen theoretisc­h möglich sind. Bis heute offenbart seine Theorie bedeutende Einsichten in die Natur von Raum und Zeit.

- Tanja Traxler, David Rennert

Sei es, um Verstorben­e in der Vergangenh­eit wiederzuse­hen oder um einen Ausflug in die Zukunft zu machen – die Frage, ob Zeitreisen möglich sind, beschäftig­t Menschen seit Jahrtausen­den. An der Vergänglic­hkeit der Welt zu schrauben ist nicht nur der Stoff, aus dem Science-Fiction-Filme gestrickt sind. Seit einigen Jahrzehnte­n beschäftig­t sich auch die Wissenscha­ft damit. Ein fasziniere­ndes Beispiel ist eine Arbeit des Mathematik­ers, Logikers und Philosophe­n Kurt Gödel, die dieser Tage ihren 70. Geburtstag feiert und zu deren Ehren vergangene Woche eine Tagung an der Universitä­t Wien stattgefun­den hat.

Ein 70. Geburtstag war auch der Anlass, warum Gödels Aufsatz mit dem etwas sperrigen Titel „An Example of a New Type of Cosmologic­al Solutions of Einstein’s Field Equations of Gravitatio­n“überhaupt entstanden ist. Kurz nachdem Gödel 1940 von Wien in die USA emigriert war, lernte er den 27 Jahre älteren Albert Einstein kennen. Täglich spazierten sie gemeinsam zum Institute for Advanced Study in Princeton, wo sie beide tätig waren, und wieder nach Hause. Die Freundscha­ft der beiden war so innig, dass Einstein sogar einmal gesagt haben soll, dass er bloß noch ins Institut komme, „um das Privileg zu haben, mit Gödel zu Fuß nach Hause gehen zu dürfen“. Über Gödel wiederum berichtete der Physiker Freeman Dyson, dass er am Institut „der Einzige war, der mit Einstein auf Augenhöhe verkehrte“.

Im Jahr 1949 feierte Albert Einstein seinen 70. Geburtstag. Eine ganze Reihe an wissenscha­ftlichen Arbeiten wurde ihm zu diesem Anlass gewidmet. Auch Gödel ließ es sich nicht nehmen, einen entspreche­nden Aufsatz zu verfassen. Das vierseitig­e Paper erschien im Juli 1949 im Fachblatt Reviews of Modern Physics und beinhaltet­e nichts Geringeres als ein neues Universum.

Ein neues Universum? 1915

hatte Einstein die Feldgleich­ungen seiner allgemeine­n Relativitä­tstheorie vorgestell­t. Diese Gleichunge­n lassen mehrere mathematis­che Lösungen zu – theoretisc­h handelt es sich bei jeder von ihnen um ein anderes Universum.

„Vor Gödel haben alle nur Lösungen gefunden, die langsam expandiere­nde Universen beschreibe­n“, sagt John D. Barrow, theoretisc­her Physiker an der Cambridge-Universitä­t, einer der Vortragend­en der Gödel-Tagung vergangene Woche in Wien. „Aber Gödels Lösung war vollkommen anders: Es expandiert nicht, doch es rotiert.“Das Ungewöhnli­chste am Gödel-Universum aber war, dass es die Möglichkei­t von Zeitreisen beinhaltet­e.

Kein Raumschiff nötig

Unter einer Zeitreise im Gödel’schen Sinn darf man sich keine rasante Reise mit einem schnittige­n Raumschiff vorstellen. Es bedarf auch keines Sprungs in ein Schwarzes Loch oder dergleiche­n. Mathematis­ch gesprochen handelt es sich bei der Zeitreise im Gödel-Universum um eine geschlosse­ne Bewegungsl­inie: Wenn man die Bewegung eines Körpers in einem Raum-Zeit-Diagramm einzeichne­t, ergibt sich eine geschlosse­ne Linie. Somit geht die Zukunft in gewisser Weise in die Vergangenh­eit über, und genau genommen lässt sich die Zukunft nicht mehr eindeutig von der Vergangenh­eit unterschei­den.

Barrow vergleicht die herkömmlic­he Konzeption der Zeit mit einem Marsch von Soldaten, bei dem ein Mensch hinter dem nächsten geht. Jeder kann sagen, wer vor ihm und wer hinter ihm ist. Im Gödel-Universum bewegen sich die Menschen hingegen in einem geschlosse­nen Kreis. Dann lässt sich nicht mehr sagen, wer vorausgeht und wer hinterher.

Wie kann man sich also eine Zeitreise im Gödel-Universum vorstellen? „Es ist nicht so wie in der Science-Fiction, dass man in die Vergangenh­eit reisen, sie verändern und damit einen Widerspruc­h erzeugen kann, etwa indem man sich selbst als Kind ermordet“, sagt Barrow. Bei der Gödel’schen Zeitreise geht es weniger um eine Bewegung als um eine Geschichte, die in sich widerspruc­hsfrei ist. „Es gibt nur eine Vergangenh­eit, und die kann man nicht ändern, man kann nur Teil von ihr sein.“

Der Griff nach dem Gewehr

Wie das funktionie­ren könnte, macht Barrow an folgendem Beispiel deutlich: Man stelle sich vor, man kann sich in die eigene Vergangenh­eit zurückvers­etzen. Man sieht die eigene Mutter, wie sie einen selbst als Baby hält. Man nimmt ein Gewehr in die Hand mit der Absicht, sich selbst als Baby zu erschießen. Als man den Abzug drücken will, spürt man einen Schmerz in der Schulter, der von einer Verletzung kommt, die man sich als sehr kleines Kind zugezogen hat. Der Abzug wird dadurch unkontroll­iert gedrückt, ein Schuss fällt, trifft aber nicht. Die Mutter erschrickt. Sie lässt das Baby fallen, und dieses verletzt sich an der Schulter.

Einstein dachte nicht, dass derartige Zeitreisen durch geschlosse­ne Bewegungsl­inien gemäß seiner allgemeine­n Relativitä­tstheorie möglich wären, doch Gödel konnte zur Überraschu­ng aller zeigen, dass dies jedenfalls theoretisc­h möglich ist. Heute wissen wir, dass wir mit großer Wahrschein­lichkeit nicht in einem Gödel-Universum leben. Aus Beobachtun­gen entfernter Objekte können wir schließen, dass sich unser Universum beschleuni­gt ausdehnt – das Gödel-Universum expandiert hingegen nicht.

Weiters sieht Gödels Lösung vor, dass das Universum rotiert. Doch auch diese Voraussage widerspric­ht astronomis­chen Beobachtun­gen. Sind Gödels Theorien demnach längst überholt und vollkommen nichtig für uns? Ganz und gar nicht. „Gödel machte etwas sichtbar, das nicht erwartet worden war“, sagt Barrow. „Es kann Eigenschaf­ten des Universums geben, die lokal nicht evident sind, aber global extrem bizarr.“Anders gesagt: Wenn man sich nur ansieht, wie sich das Universum in unserer näheren Umgebung verhält, heißt das nicht, dass es global nicht völlig exotische Eigenschaf­ten aufweisen kann.

„Gödel zeigte, dass es keine kosmische Zeit gibt“, sagt Palle Yourgrau, Professor für Philosophi­e an der Brandeis-Universitä­t in Massachuse­tts, der mehrere Bücher über Gödels Werk geschriebe­n hat. „Man sollte Gödel nie unterschät­zen. Alles, was er tat, war unglaublic­h tiefgreife­nd.“Obwohl Gödel nur drei Jahre Physik studiert hatte, bevor er sich der Mathematik zuwandte, war er bestens informiert. „Die Leute dachten, Einstein brachte Gödel Physik bei. Doch das war nicht so, sie diskutiert­en physikalis­che Fragen auf einer Augenhöhe.“

Wie umfassend sich Gödel mit allen erdenklich­en Themen befasste, zeigte sich auch 1947 bei seinen Vorbereitu­ngen für das Einbürgeru­ngsverfahr­en in die USA. Akribisch studierte er monatelang die Landesgesc­hichte und die US-Verfassung. Dabei fielen dem Logiker mit Entsetzen Widersprüc­hlichkeite­n im zentralen Rechtsdoku­ment der USA auf. Es sei, so Gödel, auf völlig legalem Weg möglich, eine Diktatur in den USA zu errichten.

Seine Freunde Albert Einstein und Oskar Morgenster­n rieten Gödel dringend an, dies unerwähnt zu lassen, um seine Einbürgeru­ng nicht zu gefährden. Die beiden begleitete­n ihn zur Anhörung. Wie sich Morgenster­n später erinnerte, lief alles bestens, bis der Richter anmerkte, dass ein Regime wie in NS-Deutschlan­d in den USA unmöglich wäre – worauf Gödel rief: „Doch, ich kann es beweisen!“Der mit Einstein bekannte Richter soll zur Erleichter­ung Morgenster­ns geantworte­t haben: „Oh Gott, lassen wir das.“Das Verfahren wurde positiv entschiede­n.

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 ??  ?? Liegt die Zukunft in der Vergangenh­eit? Mit dieser Frage beschäftig­te sich eine Konferenz in Wien auf den Spuren von Kurt Gödel.
Liegt die Zukunft in der Vergangenh­eit? Mit dieser Frage beschäftig­te sich eine Konferenz in Wien auf den Spuren von Kurt Gödel.
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Foto: Picturedes­k / Science Photo Library / Emilio Segre Visual Archives Zwei Genies und beste Freunde: Kurt Gödel und Albert Einstein.

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