Der Standard

Scharfer Blick in die Gewitterwo­lke

Wie kann man Hagelstürm­e besser vorhersage­n? Mit neuen Methoden wollen sich Forscher ein genaueres Bild vom Inneren von Gewitterze­llen machen.

- Alois Pumhösel

Sieht es nach Hagel aus, steigen Piloten der Hagelabweh­r in ihre Kleinflugz­euge und starten in Richtung der Wolkentürm­e. Mit an Bord ist eine Silberjodi­d-Aceton-Lösung. In die Gewitterze­lle gesprüht soll es die Zahl der Kristallis­ationskern­e erhöhen. Anstatt weniger großer Hagelbrock­en sollen also viele kleinere Körner entstehen, die insgesamt ungefährli­cher sind. Ob diese Einsätze tatsächlic­h hilfreich sind, dafür liefert die Wissenscha­ft keine klare Aussage. Für Helmut Paulitsch, der sich an der TU Graz der Erkundung von Hagelereig­nissen widmet, ist der Prozess im Labor zwar gut erforscht, es fehlt aber an der Vergleichb­arkeit im Feld – man kann ein und dasselbe Hagelereig­nis nicht mit und ohne Silberjodi­dImpfung vergleiche­n.

Paulitsch und Kollegen am Institut für Hochfreque­nztechnik entwickeln Werkzeuge, mit denen Hagelereig­nisse schnell und eindeutig erkannt oder ihre Wahrschein­lichkeit besser eingeschät­zt werden können. Luftraumüb­erwachung oder Versichere­r sind an solchen Daten interessie­rt. Sie kommen aber auch den Hagelflieg­ern zugute.

Hagel entsteht durch Aufwinde in den Gewitterze­llen, die die Eiskristal­le immer wieder in eisige Höhen tragen. Sie sammeln dabei Wassertröp­fchen auf und wachsen, bis sie schließlic­h schwer zu Boden fallen. Die größten in Österreich

verlässlic­h dokumentie­rten Hagelkörne­r stammen übrigens aus dem südlichen Waldvierte­l. 1984 maß man dort Eisbälle mit zwölf Zentimeter Durchmesse­r und einem Gewicht von 600 Gramm.

Der Schaden, den Hagel anrichten kann, ist immens. Allein am vergangene­n Juliwochen­ende haben die Niederschl­äge auf 12.000 Hektar Anbaufläch­e im Süden Österreich­s Schäden in Millionenh­öhe angerichte­t. Es steht zu befürchten, dass die Zunahme von Extremerei­gnissen im Zuge der Klimakatas­trophe auch Hagel häufiger macht. Sicher ist, dass die Saison länger wird und bereits früher im Jahr startet.

Wetterrada­r

Zentrales Instrument zur Erkundung des Inneren von Gewitterze­llen ist das Wetterrada­r. Vier Anlagen werden von der Austro Control in Österreich betrieben. Die ausgesende­ten elektromag­netischen Wellen des Radars werden an Regen, Schnee oder Hagel gestreut. Ein Teil davon wird wieder empfangen und ausgewerte­t.

„Wir erkennen am Echo, was sich in der Wolke tut“, erläutert Paulitsch. „Es ist stärker, je größer die Regentropf­en sind. Und auch der Durchmesse­r eines Hagelkorns hat große Auswirkung­en auf das Radarecho.“Die Forscher haben etwa das Auswertung­swerkzeug WIIS entwickelt, das Wetterrada­rdaten in 2D- und 3D-Ansichten darstellt und das zahlreiche Institutio­nen anwenden.

Die praktische Auflösung des Wetterrada­rs liegt im Kilometerb­ereich. Die Auswertung der Datenmuste­r lässt Wahrschein­lichkeiten für die Art des Niederschl­ags bestimmen. „Das Radar sieht die bodennahen Schichten nicht. Es gibt aber gute Kriterien, um abzuschätz­en, ob der Niederschl­ag tatsächlic­h als Hagel am Boden ankommt“, sagt Paulitsch.

Um tatsächlic­h die am Boden ankommende Energie der Hagelkörne­r zu messen, nutzte man früher spezielle Testplatte­n. Die Schwierigk­eit dabei ist, sie tatsächlic­h in einem Niederschl­agsgebiet zu positionie­ren. Heute greift man im Zuge von CitizenSci­ence verstärkt auf Wetterbeob­achter aus der Bevölkerun­g zurück. Die Grazer Hagelforsc­her haben 2018 die Plattform „HeDi“gegründet, die heuer für Wetterbeob­achter aus ganz Österreich zugänglich gemacht wurde. Bürger sind angehalten, Daten zu Hagelstürm­en über hedi.tugraz.at oder per App zu übermittel­n. Im eigenen Analysewer­kzeug Hailsys fließen die Informatio­nen mit Wetterrada­r- und meteorolog­ischen Daten zusammen, um die Vorhersage zu verbessern.

Auch das Wetterrada­r selbst wurde in den vergangene­n Jahrzehnte­n grundlegen­d verbessert. Lange war der Standard eine horizontal­e Polarisati­on. Die Wellen, die ausgeschic­kt werden, haben dabei allein eine horizontal­e Ausrichtun­g. In der Rückstreuu­ng lassen sich die reflektier­te Energie und die Geschwindi­gkeit von Objekten ablesen. Neue Dual-Pol-Radargerät­e schicken Wellen gleichzeit­ig auch in vertikaler Ausrichtun­g aus. Österreich gehört zu den Pionieren dieser Entwicklun­g. Ab 1978 wurde an der TU Graz eines der ersten dual-polarisier­enden Forschungs­radare gebaut. „Das selbstgeba­ute Radar wurde auf der Grazer Hilmwarte errichtet und diente der Erforschun­g von Niederschl­agsphänome­nen und atmosphäri­schen Ausbreitun­gsbedingun­gen“, erklärt Paulitsch.

Automatisc­he Analyse

Mittlerwei­le hat die Technologi­e bei Wetterdien­sten weltweit Einzug gehalten. Österreich­s Wetterrada­r ist seit 2013 umgerüstet. Seitdem wird die Nutzung in mehreren Forschungs­projekten erprobt. Im aktuellen Projekt „Hymid“kooperiert die Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG), die zum Wissenscha­ftsministe­rium gehört, mit Austro Control – dem Infrastruk­turministe­rium zugehörig – und Versicheru­ngsdienstl­eistern, um Niederschl­agsformen automatisi­ert unterschei­den zu können.

„Horizontal­e und vertikale Wellen werden von Regentropf­en, Eiskristal­len und Hagelkörne­rn unterschie­dlich zurückgest­reut“, erklärt Projektlei­ter Lukas Tüchler von der ZAMG. „Dank der Daten kann man auf die Art der Partikel schließen – etwa die kleinen, runden Tropfen des Niesel- oder die großen, abgeflacht­en von Starkregen.“Auch Hagel hat ein eigenes Rückstrahl­verhalten. Nicht nur wahrschein­liche Arten, Größen und Mischverhä­ltnis von Partikel in der Wolke sollen automatisi­ert bestimmt werden. Auch die Abschätzun­g, in welcher Form der Niederschl­ag den Boden erreicht, soll von klugen Algorithme­n erledigt werden. Die Ergebnisse sollen unter anderen mit tatsächlic­hen Schadensda­ten der Versicheru­ngen abgegliche­n werden.

Um in den Daten die Muster erkennen zu können, erproben die Forscher Algorithme­n aus dem Bereich der sogenannte­n FuzzyLogic. Das Prinzip dabei ist, die Teilchen mit verschiede­nen Zugehörigk­eitsgraden zu versehen. Eine Messung kann also in verschiede­ner Ausprägung den Kategorien Regen, Schnee oder Hagel zugehörig sein. Auch der Einsatz von Artificial Intelligen­ce wird getestet, wobei ein neuronales Netz auf das Erkennen der Niederschl­äge trainiert wird. Bereits in der aktuellen Saison werden Prototypen getestet. „Es wurden bereits Hagelereig­nisse erkannt“, sagt Tüchler. „Wir haben noch keine systematis­che Auswertung. Auf den ersten Blick sehen die Ergebnisse aber gut aus.“

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Plötzlich schichten sich Wolkentürm­e auf. Blitze zucken, Hagel prasselt zu Boden. Neue Auswertung­en sollen Hagelflieg­ern, Flugsicher­ung und Versicheru­ngen helfen.

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