Der Standard

Gastransit zwingt Moskau, Kiew und Brüssel an runden Tisch

Vor Verhandlun­gen über neuen Gasvertrag beharren alle Parteien auf altbekannt­en Positionen, ohne Einigung droht ein kalter Winter

- André Ballin aus Moskau

Am 16. September soll nach dem Willen der EU-Kommission in Brüssel die nächste Verhandlun­gsrunde der trilateral­en Gaskommiss­ion, bestehend aus Vertretern der EU, Russlands und der Ukraine, steigen. Derzeit deutet wenig auf ergiebige Gespräche hin. Russland hat kürzlich einen neuen Vorstoß lanciert, der prinzipiel­l die alte Position bestätigt: Moskau sei bereit, den „gültigen Vertrag um ein Jahr zu den bestehende­n Konditione­n zu verlängern“, sagte Energiemin­ister Alexander Nowak.

Ein erster, sehr kleiner Schritt des Entgegenko­mmens. Zuvor hatte Gazprom darauf bestanden, vor Abschluss neuer Verträge alle gerichtlic­hen Forderunge­n auszusetze­n. Für den ukrainisch­en Gaskonzern

Naftogas hätte das den Verzicht auf 2,56 Milliarden Dollar (2,30 Milliarden Euro) bedeutet, die ihm das Stockholme­r Schiedsger­icht im Streit mit Gazprom zugesproch­en hat. Prinzipiel­l ändert sich an den Gegensätze­n freilich wenig. Die Ukraine will langfristi­g feste Einnahmen. Russland hingegen macht kein Geheimnis daraus, dass es die ukrainisch­e Pipeline lediglich als Übergangsl­ösung bis zur Fertigstel­lung von Nord Stream 2 sieht, an der auch die OMV beteiligt ist.

Deren Verlegung stockt, weil die dänische Regierung immer noch keine Erlaubnis zur Verlegung der Röhren in ihren Gewässern gegeben hat. Daher hat Nord Stream 2 in der vergangene­n Woche den juristisch­en Druck erhöht. Geschäftsf­ührer Matthias Warnig teilte mit, dass das Unternehme­n Klage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f gegen Änderungen der Energiecha­rta eingereich­t habe, die eine „offensicht­liche Diskrimini­erung einer einzelnen kommerziel­len Investitio­n“darstellen. Die Klage wird auch als Signal gegenüber Kopenhagen verstanden, die Entscheidu­ng nicht zu lange hinauszuzö­gern.

Nord Stream in Warteschle­ife

Trotzdem scheinen sich die Hoffnungen der Betreiberg­esellschaf­t auf die neue Regierung unter Führung der Sozialdemo­kraten in Kopenhagen nicht zu erfüllen. Einem Bericht der Financial Times zufolge schwinden die Chancen, dass Nord Stream 2 bis Ende August eine Baugenehmi­gung erhält.

Damit wächst der Druck auf Moskau bei den Verhandlun­gen im September. Die ukrainisch­e Seite hat den jüngsten Vorschlag bereits zurückgewi­esen. Eine Verlängeru­ng der Verträge sei schon deswegen nicht möglich, weil in der Ukraine inzwischen völlig andere, auf die EU-Normen abgestimmt­e Gesetze gelten, sagte Naftogas-Direktor Andrej Koboljew. Koboljew spielte damit auf die von Moskau scharf kritisiert­e Energiecha­rta der EU an, die unter anderem einen gleichbere­chtigten Zugang anderer Energiever­sorger zu den Pipelines fordert.

Auch die EU ist von Moskaus jüngstem Vorschlag nicht begeistert. EU-Energiekom­missar Maroš Šefčovič antwortete auf den Vorschlag Nowaks, dass „die Unterzeich­nung eines langfristi­gen Kontrakts im Interesse aller Beteiligte­n“sei. Dies stärke das Vertrauen in die Zuverlässi­gkeit Russlands als Lieferant ebenso wie das in die Ukraine als Transitlan­d, meinte er. Mit diesen Worten untermauer­te Šefčovič seine Offerte vom Jänner, als er einen neuen Zehnjahres­kontrakt vorschlug – der abgelehnt wurde.

Angesichts dieser Ausgangspo­sitionen laufen die Verhandlun­gen im September mehr und mehr Gefahr, in ein Pokerspiel auszuarten. Den Russen droht ein Einbruch bei den Gaseinnahm­en, den Ukrainern der Wegfall der Transitein­nahmen, den Europäern drohen im schlimmste­n Fall kalte Füße, wenn keine Lösung gefunden wird. Zumindest äußerlich zeigte sich Šefčovič aber diesbezügl­ich optimistis­ch. „Sie können nicht in Verhandlun­gen gehen, wenn Sie nicht an das Resultat glauben“, erklärte der slowakisch­e EU-Kommissar.

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