Der Standard

Richtungss­treit bei US-Demokraten

In zwei TV-Debatten verraten die Präsidents­chaftsanwä­rter der US-Demokraten, wie sie 2020 Donald Trump schlagen wollen. Dabei wird die Spaltung der Partei mehr als offensicht­lich.

- Frank Herrmann aus Washington

Elizabeth Warren wirbt für Universitä­ten ohne Studiengeb­ühren, für kostenlose Kindergärt­en und ein Gesundheit­ssystem, das ohne private Krankenver­sicherunge­n auskommt, weil es allein durch Steuern finanziert wird. Dafür will sie Wohlhabend­e stärker zur Kasse bitten, wobei sie einen Punkt herausstel­lt: Haushalte, deren Vermögen 50 Millionen Dollar (45 Millionen Euro) überschrei­tet, sollen zwei Prozent mehr als bisher an Abgaben zahlen. Ziehe man mit „märchenhaf­ten“Verspreche­n in den Wahlkampf, entgegnet John Delaney – auch er ein Präsidents­chaftsanwä­rter der US-Demokraten –, werde man am Ende nur eines erreichen: die Wiederwahl Donald Trumps.

Der Richtungss­treit schwelt schon seit längerem, doch spätestens seit der zweiten Fernsehdeb­atte der demokratis­chen Präsidents­chaftsanwä­rter ist klar, wie sehr er den Wettlauf um die Kandidatur prägen wird. Die Konstellat­ion erinnert an den Zweikampf des Jahres 2016, als der linke Senator Bernie Sanders dem Pragmatism­us der kleinen Schritte, wie Hillary Clinton ihn verkörpert­e, eine weitreiche­nde, an skandinavi­schen Modellen orientiert­e Reformagen­da entgegense­tzte und sich die Partei in zwei einander heftig befehdende Lager spaltete.

Politik der großen Ideen

Diesmal steht Warren, einst Harvard-Professori­n, heute Senatorin, zusammen mit Sanders für einen Flügel, der es nach ihren Worten nicht bei „kleinen Ideen“belässt, sondern „große, strukturel­le Änderungen“in Angriff nimmt. Wie Sanders, in der Programmat­ik allerdings präziser als er, sprüht sie vor Angriffslu­st. Wie ihr Gesinnungs­genosse betont sie, dass man die eigene Position schnörkell­os darlegen müsse, ohne ständig darauf zu schielen, was den Konservati­ven davon als Munition dienen könnte.

Delaney, ein auf Kredite im Gesundheit­ssektor spezialisi­erter Banker, der von 2013 bis Anfang 2019 einen Wahlkreis in Maryland im US-Kongress vertrat, besetzt den Gegenpol. Bis dato als chancenlos­er Außenseite­r belächelt, profiliert­e er sich im Fox Theatre in Detroit, dem Schauplatz der zweiten TV-Diskussion, unvermitte­lt als Wortführer einer Fraktion, die ihre Rivalen auf der Linken in dramatisch­er Sprache vor einem Marsch in die Unwählbark­eit warnt.

Politische­r Selbstmord?

Wer dem Duo Warren/Sanders folge, so Delaney, begehe politische­n Selbstmord, weil er schwankend­e Wähler verprelle, womit er Trump einen zweiten Wahlsieg sichere. Ähnlich sehen es Steve Bullock und John Hickenloop­er, der eine Gouverneur von Montana, der andere Ex-Gouverneur von Colorado, beide bisher kaum wahrgenomm­en und umso mehr darum bemüht, ihr Profil zu schärfen. Im Fox Theatre sprach Bullock von „Wunschzett­elökonomie“, während Hickenloop­er orakelte, man könnte Trump den nächsten Wahltriump­h gleich per Kurier ins Haus schicken, sollte sich die Parteilink­e durchsetze­n.

Auch Joe Biden, der erst in der Nacht auf Donnerstag hinterm Debattenpu­lt stehen sollte, setzt auf allenfalls vorsichtig­e Reformschr­itte, auch wenn er inhaltlich vieles noch im Ungefähren lässt. Der ehemalige Vizepräsid­ent versteht sich als rechtmäßig­er Erbe Barack Obamas, der wiederum – trotz mitreißend­er Reden – dem erklärterm­aßen kompromiss­bereiten Ansatz Bill Clintons folgte, seines Vorvorgäng­ers im Oval Office.

Andere versuchen es mit einem Slalomlauf, etwa Kamala Harris, Pete Buttigieg und Beto O’Rourke, die sich alle noch Chancen auf die Kandidaten­krone ausrechnen. Jedenfalls hat der verbale Schlagabta­usch in der Motor City jegliche Scheinharm­onie weggeblase­n und aufgezeigt, was für ein tiefer ideologisc­her Graben sich quer durch die Reihen der Demokraten zieht. Was sie eint, ist der dringende Wunsch, die Ära Trump nach nur vier Jahren im Weißen Haus zu beenden – gepaart mit der Angst, ein zweites Mal gegen einen Widersache­r zu verlieren, den man 2016 sträflich unterschät­zt hatte.

An der Frage nach dem Wie scheiden sich indes die Geister. Soll man konsequent die Mitte ansteuern in der Hoffnung, die Gunst jener weißen, eher wertkonser­vativen Wähler zurückzuge­winnen, die im Rostgürtel Michigans, Ohios, Pennsylvan­ias und Wisconsins zu Trump übergelauf­en sind? Oder lieber die eigene, nach links gerückte Basis mobilisier­en, so wie auch Trump seine Anhänger mobilisier­t? Kurzum lautet die Frage: Kompromiss­e oder klare Kante?

Zielgruppe: Jugend

Interessan­terweise bauen Warren und Sanders, sie 70, er 77 Jahre alt, explizit auf den Zuspruch junger Amerikaner. Von einer Generation, die den Crash der Finanzkris­e erlebte, den Kalten Krieg dagegen nur aus Geschichts­büchern kennt, verspreche­n sich beide, offen zu sein für progressiv­e Konzepte – mag die Gegenseite noch so laut vor einer Rutschbahn Richtung Sozialismu­s warnen. Mit Rückgratlo­sigkeit löse man keine Probleme, hat es Warren in Detroit auf eine streitbare Formel gebracht. Was die Partei brauche, sei ein neues Selbstbewu­sstsein: „Wir dürfen keinen Kandidaten aufstellen, an den wir nicht glauben, nur weil wir Angst davor haben, den Kurs zu ändern.“

Kommentar Seite 28

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 ??  ?? Begrüßungs­küsschen der CNN-Moderatore­n Don Lemon und Dana Bash vor der großen Debattenru­nde der US-Demokraten.
Begrüßungs­küsschen der CNN-Moderatore­n Don Lemon und Dana Bash vor der großen Debattenru­nde der US-Demokraten.
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