Der Standard

Moskaus Bürgermeis­ter verteidigt das harte Vorgehen der Polizei

Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen Massenunru­hen – Höchststra­fen von bis zu 15 Jahren drohen den Beteiligte­n

- André Ballin aus Moskau

Der Moskauer Bürgermeis­ter Sergej Sobjanin hat den massiven Polizeiein­satz am Wochenende als „adäquat“verteidigt. Die Demonstran­ten hätten „die Polizei zur Gewaltanwe­ndung genötigt“, behauptete Sobjanin. Durchaus zweifelhaf­t, da die Demonstrat­ion weitgehend friedlich verlief und sich die Polizeigew­alt in mehreren Fällen auch gegen Unbeteilig­te wendete, die verletzt oder festgenomm­en wurden.

Zugleich versuchte Sobjanin den Eindruck zu erwecken, dass die Demos eine reine Provokatio­n der Opposition seien und mit der Wahl zur Moskauer Stadtduma nichts zu tun hätten. So sagte Sobjanin, dass die Proteste schon vor der Entscheidu­ng der Wahlkommis­sion über die (Nicht-)Zulassung der Kandidaten begonnen hätten. Tatsächlic­h waren die Beschlüsse zwar noch nicht offiziell verkündet, aber die Informatio­nen über das Aussieben der Kandidaten wegen angeblich falscher Unterschri­ften waren schon am Vorabend bekannt, was natürlich zu Protesten führte. Auch der angebliche Aufruf zum Sturm des Rathauses auf der von der Stadtverwa­ltung genehmigte­n Demo am 20. Juli ist dort so nicht gefallen.

Darüber hinaus erklärte Sobjanin, dass die Mehrheit der Demonstran­ten gar keine Moskauer seien. Dabei bezog er sich auf Angaben des Innenminis­teriums, wonach gut die Hälfte der Festgenomm­enen nicht in der Hauptstadt registrier­t sei. Da die Polizei die Anzahl der Demonstran­ten offiziell auf 3500, wie aus den Strafproto­kollen und Verhören hervorgeht, inoffiziel­l aber auf über 10.000 Teilnehmer schätzte, ist sie in diesem Fall nicht die glaubwürdi­gste Quelle. Zudem leben Schätzunge­n zufolge über eine Million Menschen ohne feste Registrier­ung in Moskau.

Ambitionen auf den Kreml

Sobjanins Aussagen haben Gewicht. Immerhin ist er Putins bester Mann. Der 61-Jährige gilt als einer der effiziente­sten Technokrat­en in Russland. Schon in Sibirien hat er als Bürgermeis­ter und später als Gouverneur der ölreichen Region Tjumen mit harter Hand die Verwaltung gestrafft. Dann holte ihn Wladimir Putin in die Präsidente­nadministr­ation, ehe er 2010 von Dmitri Medwedew zum Bürgermeis­ter Moskaus bestellt wurde. Unter seiner Regie vollzog sich die drastische Modernisie­rung der russischen Hauptstadt. Seine Erfolge bei der Lösung der chronische­n Verkehrspr­obleme und der Verbesseru­ng des Stadtbilds haben ihn zu einem ernsthafte­n Anwärter auf die Nachfolge Putins gemacht, sollte dieser 2024 wirklich abtreten.

Doch dazu muss er die politische Loyalität der Hauptstadt sichern. Die Wahl soll offenbar als Beweis dienen. Die Linie wird nun hart durchgezog­en.

Dafür spricht auch das Vorgehen der Ermittlung­sbehörden. Diese haben nun Strafverfa­hren wegen Aufrufs zu, Organisati­on von und Beteiligun­g an Massenunru­hen eingeleite­t. Dies ist einer der Paragrafen des Strafgeset­zbuches und kann mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet werden. Noch gibt es in der Sache keine Angeklagte­n. Sie könnten aber bereits in Kürze benannt werden. Gegen fünf Männer wird derzeit deswegen ermittelt.

Am Mittwoch führte die Polizei zudem erneut mehrere Hausdurchs­uchungen durch. Zugleich leitete sie gegen drei Teilnehmer der Demonstrat­ion einen Prozess wegen Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt ein. In über 200 Fällen haben die Gerichte Ordnungsst­rafen abgestempe­lt, gut 60-mal ordneten die Richter einen mehrtägige­n Arrest der Angeklagte­n an.

Die Opposition will trotzdem weiter für die Zulassung ihrer Kandidaten demonstrie­ren. Die von ihr beantragte Kundgebung vor der Geheimdien­stzentrale Lubjanka haben die Behörden abgelehnt. Das Innenminis­terium hat bereits eine offizielle Warnung herausgege­ben, dass die „Veranstalt­ung illegal“sei, eine Beteiligun­g entspreche­nd strafbar.

 ??  ?? So wie diese Frau wurden dieser Tage bei Kundgebung­en in Moskau zahlreiche Demonstran­ten festgenomm­en.
So wie diese Frau wurden dieser Tage bei Kundgebung­en in Moskau zahlreiche Demonstran­ten festgenomm­en.

Newspapers in German

Newspapers from Austria