Der Standard

Wenn ein Wal die Wahl hat

Zum 200. Geburtstag von Herman Melville: „Bartleby“, „Moby-Dick“und die Popkultur.

- Christian Schachinge­r

Der US-amerikanis­che Autor Herman Melville hätte am 1. August seinen 200. Geburtstag gefeiert (Gratulatio­n auch von dieser Seite!). Die Bedeutung seiner wichtigste­n Werke wie Moby-Dick, Typee, Billy Budd und vor allem der Erzählung

Bartleby der Schreiber wurde hinreichen­d dokumentie­rt. Aber wie weit reicht die Strahlkraf­t dieses noch zu seinen Lebzeiten wieder in Vergessenh­eit geratenen Autors, der einst von seinem Roman um den großen weißen Wal gar nur 3000 Stück absetzen konnte?

Neben dem archaische­n Mythos des großen weißen Wals gilt heute wohl besagter Bürogehilf­e Bartleby als eine literarisc­h hochmodern­e Figur im Vorfeld von Franz Kafka und dessen heutige Bürowelten mehr als vorwegnehm­ende Szenarien. In seiner Totalverwe­igerung, dem sinnlosen System sinnvoll zu dienen oder von ihm zu profitiere­n, stirbt er in letzter Konsequenz den Hungertod. Zentraler Satz Bartlebys, der nicht und nicht ran ans Gerät jedweder Gestalt will: „I would prefer not to (Ich möchte lieber nicht).“

Diese Absage an die Leistungsg­esellschaf­t und gesellscha­ftliche Zwänge fand in der Philosophi­egeschicht­e bemerkensw­erte Sichtungen, unter anderem von Giorgio Agamben und Gilles Deleuze. Beide widmeten dem sturen Hund, dem man auch gerne eine klinische Depression unterstell­te, jeweils eigene philosophi­sche Essays. Ganz zu schweigen von Vieldenker Slavoj Žižek, der „I would prefer not to“oft und gern zuletzt vor allem auch im Zusammenha­ng mit der Occupy-Bewegung zitierte – und sich in der ihm gewidmeten Filmdoku The Pervert’s Guide to Cinema wiederum auf Douglas Adams beruft.

In Douglas Adams’ vor allem während der 1980er-Jahre gern gelesener und gesehener Science-Fiction-Comedy-Serie The

Hitchhiker’s Guide to the Galaxy will der irdische Protagonis­t Arthur Dent, dem man seinen Heimatplan­eten aufgrund einer intergalak­tischen Schnellver­bindung weggespren­gt hat, zwischendu­rch einmal zum Planeten Barteldan auswandern. Dort würden die Menschen ganz generell keinen Tätigkeite­n

nachgehen, sie seien in diesem vermeintli­chen Paradies überhaupt mit großer geistiger Leblosigke­it gesegnet. Alles hängt mit allem zusammen.

Als ungleich einflussre­icher erwies sich natürlich Melvilles wuchtiger Wälzer MobyDick. Vom großen weißen Wal existieren diesbezügl­ich nicht nur diverse Verfilmung­en und Adaptionen für das Theater oder

Moby Dick! The Musical. Wer wissen will, ob ein ebenso mythologis­cher wie in die Populärkul­tur strahlende­r Stoff tatsächlic­h Relevanz besitzt, der sollte am besten auch nach Pornos gugeln. Die Antwort lautet: Ja, man findet natürlich Moby-Dick-Pornos.

Im täglichen städtische­n Straßenbil­d am auffälligs­ten in Bezug auf Moby-Dick erweist sich allerdings die US-Kaffeesied­erFranchis­ekette Starbucks. Sie wurde 1971 von drei Slackern in Seattle unter dem Namen des Ersten Steuermann­s Starbuck gegründet, nachdem man befürchtet­e, dass das ursprüngli­che avisierte Branding Pequod, der Name des Schiffs von Captain Ahab, zu viele Assoziatio­nen mit dem englischen Wort für pinkeln erwecken könnte.

Der letzte große amerikanis­che Wal

In der Rockgeschi­chte zählt das Instrument­al Moby Dick der britischen Hardrockba­nd Led Zeppelin aus dem Jahr 1969 zu den rekordverd­ächtigen Kompositio­nen. Live oft auf bis zu einer halben Stunde Länge aufgebläht, beinhaltet es eines der längsten Schlagzeug­solos der Rockgeschi­chte. Von der deutschen Funeral-Doom-Band Ahab und ihrem empfehlens­werten Konzeptalb­um The Divinity Of Oceans (2009) ein anderes Mal. Es behandelt das Schicksal des Walfängers Essex, der Herman Melville als reale Vorlage diente.

Geschichte schrieb 1989 auch Lou Reed mit seinem Album New York. Das beinhaltet neben dem Song Good Evening Mr. Waldheim auch Last Great American Whale und dessen Tötung durch eine geldgierig­e, ignorante Gesellscha­ft. Die möglicherw­eise gültigste Interpreta­tion des Melville-Klassikers. Fun-Fact: Herman Melville ist der Ururgroßon­kel des US-Musikers Richard Melville Hall, besser bekannt als Moby.

 ??  ?? Ein Souvenirsh­op in Florida namens „Moby Dick“verweist darauf, dass der große weiße Wal noch immer unter uns weilt.
Ein Souvenirsh­op in Florida namens „Moby Dick“verweist darauf, dass der große weiße Wal noch immer unter uns weilt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria