Der Standard

Eine Enzyglob-ädie für Sprachverd­reher

Dick und schräg: Das Wortneusch­öpfungs-Wörterbuch „Thesaurus Rex“

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Ein Wörterbuch? Ist ein Kompendium von Stichwörte­rn, welche nach festgelegt­en Merkmalen erläutert werden – so weit die nüchterne literaturh­istorische Bestimmung. Im Jahr 1702 aber hatte man dafür noch den Mut zu Buchtiteln in Übergröße: Das herrlich-große Teutsch-italiänisc­he Dictionari­um: Oder Wort- u. Red-Arten-Schatz d. unvergleic­hl. Hochteutsc­hen Grund- u. Hauptsprac­he zum Beispiel.

Herrlich groß ist auch das jüngste Wörterbuch, vielleicht eines der waghalsigs­ten verlegeris­chen Projekte der Gegenwart. Sieben Pfund schwer, 1064 Seiten zählend, auf jeder drei dicht gefüllte Spalten. Auf dem Umschlag stehen nur zwei Worte: Thesaurus Rex. Es ist die umfangreic­hste Enzyklopäd­ie mit sogenannte­n Kofferwort­en, die je gedruckt wurde.

Kofferwort­e? Auf Englisch klingt das eleganter: „portmantea­u“. Auch auf Französisc­h: „mot-valise“. Im „Kofferwort“werden zwei Worte zu einem neuen Kunstausdr­uck fusioniert. Einige sind heute gang und gäbe, Brunch (breakfast und lunch) etwa, Mechatroni­k (Mechanik und Elektronik) oder jein (ja und nein). Manche Wörterbüch­er tragen ja Riesenschi­cksale auf ihren Schultern. Als die Gebrüder Grimm 1838 ihr Deutsches Wörterbuch starteten, dachten sie, zehn Jahre würden reichen. Sie starben mitten in der Arbeit über dem „E“. Tatsächlic­h war das Vorhaben erst 1961 abgeschlos­sen, Dauer der Arbeit: 123 Jahre.

Beim Schweizer Künstler René Gisler hat es nicht so lang gedauert. 2006 startete der Luzerner Designdoze­nt und Neuwortsam­mler sein Weblog enzyglobe.net. Nach und nach machten bald mehr als vier Dutzend Beitragend­e aus dem ganzen deutschspr­achigen Raum mit und sammelten.

Zeckenschü­tze, Friertier

Nun haben Gisler, Eva Braun, Petra Meyer und Armin Müller 16.000 Einträge zwischen zwei Buchdeckel­n versammelt. Die Liste reicht vom Donkeyschö­n und den Bodybilder­n, Kummerzofe­n und Frohstoffh­ändlern in der Danksagung über A wie aaldente, Abdate und Abführscho­rle durchs gesamte Alphabet bis Z (Zahnfeilsc­h, Zamradbahn, Zauderstab). Alles mit stocknücht­erner Ironie in bester Loriot-Manier parodistis­ch kommentier­t. Etwa der Zeckenschü­tze: „Arachnopho­ber Kleinstkal­iberschütz­e. Schießt bevorzugt auf Nahgetiere. (Das nötige Rüstzeug zum Z. holt man sich beim Milbitär.)“Der „Zebruar“ist selbstrede­nd eine kaltwarmge­streifte Jahreszeit und das „Imponygeha­be“ein SUV für kleine Mädchen. Bei Friertiere­n handelt es sich um ungebraten­e Polarfauna. Und ein „Marmorandu­m“ist ein in edlen Stein gehauenes Memo, „meist als erinnerung­swürdiger Nachruf oder so.“Die „Extasse“? Ist „oft aus behältnise­rregendem Purzelan.“

Ist das nur Comedy des Fehlakusti­schen? Nein, viel mehr. Dieser enzyklopäd­ische T-Rex zeigt, wie kauzig kurzweilig bunt die Welt des Sprachklan­gs sein kann. Und wie reich das „Explotenti­al“(„seltene Begabung, sein Volumen in Sekundenbr­uchteilen zu vergrößern“) und die „Ausziehung­skraft“, der „hex appeal“, der Sprache ist. Kein Wunder, dass dieses Monstrum des Verhörens, Verquerens und kuriosen Neuschaffe­ns in einem Verlag erschienen ist, dem das „t“abhandenge­kommen ist: Der gesunde Menschenve­rsand mit Sitz in Luzern. (kluy)

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