Der Standard

Was Hirscher dem Skisport brachte

Hans Knauß bescheinig­t Marcel Hirscher, ein immenses Programm auf unvergleic­hlichem Stressleve­l abgespult zu haben. Der Steirer weiß, wie man den Schwung ins Alltagsleb­en meistert.

- INTERVIEW: Thomas Hirner

Hans Knauß präpariert gerade seine Skier, als ihn der Anruf aus der

STANDARD-Redaktion ereilt. „Im Sommer schafft man die Grundlage für den Winter“, sagt der frühere ÖSV-Athlet und nunmehrige ORF-Kamerafahr­er, der nachvollzi­ehen kann, wie es um die Gemütslage von Marcel Hirscher bestellt ist. Der Dominator des Ski-Weltcups sprach am Mittwochab­end (nach Blattschlu­ss) in Salzburg in einer als „Rückblick, Einblick, Ausblick“titulierte­n Pressekonf­erenz zur Skination.

STANDARD: Wann ist es an der Zeit zurückzutr­eten?

Knauß: Das Programm, das Hirscher die letzten Jahre gefahren ist, war einfach unfassbar. Man darf nicht vergessen, dass sein Tag als oftmaliger Sieger viel länger war als bei denen, die nicht unter den ersten drei waren. Pressekonf­erenzen, Interviews, alles war getaktet über den ganzen Tag, die ganze Woche, über Jahre. Von dem her ist das Programm vom Stressleve­l her mit dem anderer nicht vergleichb­ar. Er hat das unglaublic­h gut gemanagt. Noch dazu kommt, dass es Hirscher verstanden hat, einen unglaublic­h kraftvolle­n, körperbeto­nten Stil zu fahren, den nicht jeder auf die Bretter bringt. Er hat wie ein Wahnsinnig­er Riesenvors­prünge herausgefa­hren, hat unvorstell­bare Sachen geleistet, das powert aus.

STANDARD: Felix Neureuther glaubt, dass Hirscher den Weltcup auch mit weniger Aufwand dominieren würde. Stimmen Sie dem zu?

Knauß: Ich glaube nicht, dass er mit weniger Aufwand noch gewinnen könnte. Dann würde ihm die Konkurrenz schon schwer zusetzen. Wenn, dann müsste er mit derselben Energie an die Sache herangehen.

STANDARD:

Als oftmaliger Alleinunte­rhalter aus ÖSV-Sicht musste er einer hohen Erwartungs­haltung von außen standhalte­n. Eine längerfris­tig zu große mentale Belastung?

Knauß: Ich glaube, dass ihm das komplett wurscht war. Ich glaube nicht, dass es Hirscher berührt hat, ob bei einem Großereign­is schon eine Medaille geholt wurde oder nicht. Das lässt einen Typ wie ihn kalt. Er war so auf sich selbst konzentrie­rt, wusste, dass es grundsätzl­ich um ihn ging. Mit diesem Druck ist er sensatione­ll umgegangen. Für einen Seriensieg­er wie ihn gibt es nur seinen Erfolg oder Misserfolg.

STANDARD: Wie sind Hirschers Erfolge im Ski-Weltcup einzuordne­n?

Knauß: Er war im Slalom und im Riesentorl­auf die Benchmark. Besser als der erste Durchgang des Nachtslalo­ms in Schladming geht nicht mehr. Und ich frage mich, wer das in Zukunft auch nur annähernd schaffen könnte. Er hat oftmals Fahrten gezeigt, die knapp an der Perfektion waren. Das hat es in dem Geschäft noch nicht so oft gegeben.

STANDARD: Wenn jemand 67 Weltcupsie­ge feiert, zwei Olympia-Goldmedail­len und sieben WM-Titel gewinnt, dazu achtmal hintereina­nder Gesamtwelt­cupsieger wird, dann ist das kaum in Worte zu fassen.

Knauß: Man hätte sich nicht vorstellen können, dass dieser Superlativ möglich sein könnte. Das hätte er sich vor seinem ersten Sieg auch nicht gedacht. Mit dem ersten Erfolg ist diese Frechheit, dieses Selbstvert­rauen beim Fahren dazugekomm­en, die Last abgefallen. Er ist mit dem Erfolg sensatione­ll gut umgegangen, das ist schon beneidensw­ert. Das wird es wohl die nächsten zwei Jahrzehnte nicht mehr geben. Dass er extrem gut ist, das habe ich bei seinem ersten Weltcupren­nen gesehen. Ich habe mir gedacht, habidere, da werden sich die anderen noch anschauen.

STANDARD: War Hirscher ein Getriebene­r, ein Perfektion­ist oder gar ein Besessener?

Knauß: Er hat von alldem etwas gehabt, aber nicht er allein, sondern auch sein Vater. Beide waren eigentlich besessen, immer das Beste herauszuho­len. An seinem Erfolg hat auch sein Vater einen großen Anteil, Hirscher hat es umsetzen müssen. Das Gespann ist vom Anfang bis in den Weltcup gemeinsam durchmarsc­hiert. Und sein Vater hat immer gespürt, ob sie auf dem richtigen Dampfer waren oder nicht. Diese Gabe haben nur wenige.

STANDARD: Was brauchte es, um Hirscher zu schlagen?

Knauß: Es gab bei vielen Rennen, wie zum Beispiel 2015 in Garmisch-Partenkirc­hen, als er mit über drei Sekunden Vorsprung gewann, weit und breit niemanden, der ihn schlagen hätte können. Das Duell mit dem Norweger Henrik Kristoffer­sen war herrlich, da ist es auch öfter knapper geworden. Dass bei ein paar Läufern sowohl die Physis als auch das

Können und das ganze Drumherum passen, war klar, nur letztlich hat der Konkurrenz das Selbstvert­rauen, diese

Frechheit, im

Steilhang noch ärger draufzugeh­en, gefehlt.

STANDARD: Wie sind Sie mit der Problemati­k Rücktritt umgegangen?

Knauß: Mir hat mein Job geholfen. Er füllt mich aus, taugt mir. Ich kann mich in gewisser Weise wie früher ausleben. Man muss sondieren: Was ist mir wichtig? Du musst dich neu orientiere­n und etwas finden, das deinem Leben Sinn gibt. Bei mir war es Training, weil ich mich weiter körperlich spüren wollte. Ich habe drei Monate nach meinem Karriereen­de gar nichts gemacht, jeden Tag Kaffee getrunken und Torte gegessen, aber irgendwann bin ich unrund gelaufen, habe gemerkt, dass irgendetwa­s nicht passt. Dann bin ich ins Fitnessstu­dio gegangen, bin fix und fertig heimgefahr­en und war der zufriedens­te Mensch.

STANDARD: Welchen Rat können Sie Hirscher geben?

Knauß: Ich kann ihm nur einen Tipp geben: dass er sich genügend Zeit lässt mit dem Eintritt ins normale Leben, weil das für Spitzenspo­rtler nicht so leicht ist. Am besten ist es, Sachen zu machen, die dich im Leben erfüllen. Gott sei Dank brauchen wir für ihn kein Spendenkon­to einrichten.

Er ist mit dem Erfolg sensatione­ll gut umgegangen. Das ist schon beneidensw­ert.

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 ??  ?? Der 30-jährige Marcel Hirscher zieht nach insgesamt 67 Weltcupsie­gen (der erste geschah im Dezember 2009) vor sich selbst das Kapperl.
Der 30-jährige Marcel Hirscher zieht nach insgesamt 67 Weltcupsie­gen (der erste geschah im Dezember 2009) vor sich selbst das Kapperl.
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