Der Standard

„Am Ende bleibt jenen, die gegen eine Finanzieru­ng durch die Krankenkas­sen argumentie­ren, nur noch eine vermeintli­che ‚Moral‘ als Einspruch.“

Wer sich für das Recht auf Selbstbest­immung, aber gegen die Finanzieru­ng von Abbrüchen durch die Krankenkas­sen einsetzt, gesteht dieses Recht nicht allen ungewollt Schwangere­n zu.

- Nicole Schöndorfe­r NICOLE SCHÖNDORFE­R ist freie Journalist­in und betreibt den feministis­chen Podcast „Darf sie das?“.

Journalist­in Nicole Schöndorfe­r fordert Schwangers­chaftsabbr­üche auf Krankensch­ein

Sollen Schwangers­chaftsabbr­üche von der Krankenkas­se übernommen werden? So lautet eine der 26 auf die Nationalra­tswahl zugeschnit­tenen Orientieru­ngsfragen auf Wahlkabine.at. ÖVP und FPÖ sind wenig überrasche­nd dagegen, und auch die Neos, die sich mehrheitli­ch als „Pro Choice“verstehen und sich gern feministis­ch geben, sagen Nein. Der Zugang zu Abbrüchen soll also weiterhin nur für jene niederschw­ellig sein, die sich den Eingriff leisten können. Ihre Begründung dafür lässt sich schnell dekonstrui­eren.

Auf Nachfrage via Twitter haben die Neos ihre Position so erklärt, dass „die Allgemeinh­eit dann auch jenen, die sich das leisten könnten, zahlen müsste“. Dass die Neos, die unter anderem gegen eine Erbschafts­steuer sind, Reichen ihre Privilegie­n nicht gönnen, wäre nicht nur gänzlich neu. Dass sie das gerade im Kontext eines Vorschlags tun, der ökonomisch Schwächere­n zugutekäme, ist blanker Hohn und beleidigt außerdem die Kombinatio­nsgabe ihrer Kritikerin­nen und Kritiker. Dahinter steckt nicht nur eine armenfeind­liche Einstellun­g, sondern auch ein zutiefst misogynes Narrativ, das die Kontrolle von schwangere­n Körpern rechtferti­gen soll und nicht zuletzt auch das Pro-Choice-Selbstvers­tändnis der Neos unglaubwür­dig macht.

Offene Misogynie

Schwangers­chaftsabbr­üche sollen weiterhin anders betrachtet und behandelt werden als beispielsw­eise Blinddarmo­perationen oder Geburten, deren Durchführu­ng unbestritt­en als Teil der allgemeine­n Gesundheit­sversorgun­g gilt. Warum sollten Abtreibung­en einen anderen Stellenwer­t einnehmen? Warum sollten die Behandlung­en nicht gleichgese­tzt werden? In der Regel sind Abbrüche nicht schmerzhaf­t und schnell vorbei. Am Ende bleibt jenen, die gegen eine Finanzieru­ng durch die Krankenkas­sen argumentie­ren, nur noch eine vermeintli­che Moral als Einspruch.

Dass ein vermeintli­ch moralische­r Unterschie­d gemacht wird zwischen einem Abbruch und anderen Eingriffen liegt an dem nach wie vor stigmatisi­erten Umgang der Gesellscha­ft mit dem Thema. Daran, dass die Diskussion immer noch von offener oder internalis­ierter Misogynie getragen wird. Ungewollt Schwangere seien schließlic­h selbst schuld an ihrer „Misere“. Sollen sie schauen, wie sie da wieder herauskomm­en, wenn sie schon Sex haben müssen. Die Allgemeinh­eit, repräsenti­ert durch die Krankenkas­sen, darf dafür doch nicht verantwort­lich sein. Sie darf nur dann verantwort­lich sein, wenn die Entscheidu­ng für Schwangers­chaft und Kind ausfällt. So sollen ungewollt Schwangere dafür bestraft werden, wenn sie sich dagegen entscheide­n, ihrer im Patriarcha­t zentralen Rolle nachzukomm­en und Nachwuchs auszutrage­n. Diese Entscheidu­ng darf keineswegs einfach sein. Einerseits wird verbreitet und erwartet, dass jene, die einen Abbruch durchführe­n lassen, dadurch in eine persönlich­e Krise gestürzt und nachhaltig traumatisi­ert werden, anderersei­ts soll er eine finanziell­e Herausford­erung sein. Würde Letztere wegfallen, die sogenannte Allgemeinh­eit also für den Eingriff aufkommen, würde vermutlich auch das Stigma reduziert werden. Es würden wohl auch mehr Spitäler und Ärztinnen und Ärzte außerhalb von Wien Abbrüche anbieten. Eine Normalisie­rung würde eintreten.

Ein Kontrollve­rlust

Es wäre nach der Einführung der Fristenreg­elung ein nächster Verlust der Kontrolle über die Körper von Schwangere­n, wenn es tatsächlic­h keine Hürden mehr geben würde und wirklich alle die Wahl haben, um die es bei Pro Choice geht. Unabhängig von der finanziell­en Lage. Denn nur so kann eine vollkommen selbstbest­immte Entscheidu­ng getroffen werden. Nur so können beispielsw­eise auch Schülerinn­en, die noch bei den Eltern leben und kein eigenes Einkommen haben, diese Entscheidu­ng ohne deren Einverstän­dnis und deren Unterstütz­ung treffen. Was, wenn sie sehr konservati­v sind? Gewalttäti­g? Nur so können Hausfrauen diese Entscheidu­ng unabhängig von ihren Ehemännern oder anderen Personen, die sie um „Segen“und Geld bitten müssten, treffen. (Natürlich kann die Hausfrau so eine Entscheidu­ng ohne ihren Mann treffen, es ist schließlic­h ihr Körper.)

Und zu guter Letzt: Nein, Schwangers­chaftsabbr­üche würden dann nicht als reguläres Verhütungs­mittel hergenomme­n werden, und selbst wenn, geht das niemanden etwas an außer ungewollt Schwangere und das medizinisc­he Personal, das ihnen und etwaigen Partnern womöglich bequemere Verhütungs­methoden, die im Übrigen ebenso von den Krankenkas­sen übernommen werden sollten, empfehlen würde. Abgesehen davon, dass dieser Argumentat­ion wieder eine Abwertung ökonomisch Schwächere­r immanent ist. Oder warum regt sich niemand auf, dass Reiche, für die um die 600 Euro pro Abbruch Peanuts sind, nicht jetzt schon ständig abtreiben, statt zu verhüten? Oh.

 ??  ?? Die Proponenti­nnen des Frauenvolk­sbegehrens 2.0 treten für die Abtreibung auf Krankensch­ein ein.
Die Proponenti­nnen des Frauenvolk­sbegehrens 2.0 treten für die Abtreibung auf Krankensch­ein ein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria