Der Standard

Mit Neuwahlen aus dem Brexit-Patt

Premier Boris Johnson kämpft trotz parlamenta­rischer Widerständ­e um den Brexit-Termin am 31. Oktober. Gleichzeit­ig deutet viel darauf hin, dass in Großbritan­nien nach 2017 auch heuer noch vorzeitig gewählt werden könnte.

- Sebastian Borger aus London

Am Tag danach ist immerhin einiges gleich geblieben. Vor dem Palast von Westminste­r, dem Sitz des britischen Parlaments, tummeln sich auch an diesem Mittwochmi­ttag kleine Gruppen von Demonstran­ten. Routiniert rufen sich Brexit-Befürworte­r unter dem Banner der gleichnami­gen Partei und AntiBrexit­eers mit Europafahn­en gegenseiti­g Beleidigun­gen zu, mehr amüsiert als wachsam beäugt von Polizisten.

Im Plenarsaal sitzen, als hätte sich nichts geändert, Margot James und David Gauke auf den Bänken hinter dem Premiermin­ister. Boris Johnson erwidert die Fragen der früheren Staatssekr­etärin und des Ex-Justizmini­sters wie gehabt mit der Anrede „meine ehrenwerte Freundin“und „mein ehrenwerte­r Freund“– als gehörten sie noch immer derselben Fraktion an.

Dabei zählt das Duo zu den 21 Konservati­ven, die am Abend zuvor dem gerade erst seit sechs Wochen amtierende­n Premiermin­ister die Gefolgscha­ft verweigert haben. Als Teil einer parteiüber­greifenden Allianz von Parlamenta­riern nahmen sie der Minderheit­sregierung die Hoheit über die Tagesordnu­ng und damit die politische Initiative aus der Hand.

Die Antwort kam wenige Minuten nach der Abstimmung: Wie angekündig­t warf der Fraktionsg­eschäftsfü­hrer („chief whip“) die Rebellen aus der Fraktion und Partei. Ex-Entwicklun­gshilfemin­ister Rory Stewart erhielt eine entspreche­nde SMS – wenige Momente bevor er beim Galaevent eines Männermaga­zins die Trophäe als „Politiker des Jahres“entgegenne­hmen durfte. „Ich bin ab sofort ein Ex-Politiker“, scherzte der 46Jährige mit Galgenhumo­r.

Nicht überall mitmachen

Das ist natürlich übertriebe­n, einstweile­n amtiert Stewart weiterhin als Abgeordnet­er für den nordenglis­chen Wahlkreis Penrith – „und ein Konservati­ver bleibe ich auch“, sagt er tags darauf in Interviews. Aber ein Parteigäng­er des Regierungs­chefs, dessen Strategie auf den chaotische­n Brexit („No Deal“) am 31. Oktober abzielt – das will Stewart nicht sein.

Und so vollendet er am Abend, worauf das parlamenta­rische Manöver tags zuvor abzielte: Die AntiStehen Chaos-Allianz verabschie­det gegen den ausdrückli­chen Willen der Regierung ein Gesetz, das einen No-Deal-Brexit ausschließ­en soll. Dem Premiermin­ister bleibt bis 18. Oktober Zeit für eine neue Vereinbaru­ng mit der EU über einen geordneten Austritt. Gelingt ihm dies nicht, muss er in Brüssel um einen neuerliche­n Aufschub bis Ende Jänner 2020 bitten.

Wozu der aber dienen soll? Ist es wirklich an der Zeit, dem Unterhaus erneut jenes Verhandlun­gspaket der früheren Premiermin­isterin Theresa May vorzulegen, das doch drei Mal abgelehnt wurde? Stewart argumentie­rt ebenso dafür wie der Labour-Hinterbänk­ler Stephen Kinnock. Als Sprecher einer Gruppe von 18 Labour-Abgeordnet­en, deren Wahlkreise im Juni 2016 für den Brexit votiert hatten, wirbt dieser für das May-Paket – angereiche­rt um Garantien für Arbeitnehm­errechte und Verbrauche­rschutz. Es ist das Ergebnis von Gesprächen zwischen Regierung und Opposition, gelangte aber nie zur Abstimmung.

die Zeichen aber auf Kompromiss an diesem windigen Frühherbst­tag? Die Rhetorik im Plenarsaal lässt diesen Schluss nicht zu, im Gegenteil: Alles deutet auf Wahlkampf hin. Johnson wettert gegen seine Entmachtun­g, nennt das No-Deal-Verhinderu­ngsgesetz acht Mal „Kapitulati­onsgesetz“und beteuert, er werde das „zögerliche Hin und Her“nicht mitmachen. Erneut wiederholt er, er wolle keine Wahl; dann aber tadelt er Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn dafür, dass dieser einem vorgezogen­en Urnengang am 15. Oktober einstweile­n die Zustimmung verweigert.

Die Begründung dafür liefert der normalerwe­ise milde LabourMann Paul Blomfield, indem er Johnson ins Gesicht sagt: „Die Leute glauben kein Wort von dem, was er sagt.“Tatsächlic­h würde eine Klausel im einschlägi­gen Gesetz dem Premiermin­ister nach erfolgter Zustimmung zur Wahl eine Änderung des Termins erlauben. Johnson könnte also die Wahl auf einen Tag nach dem vorgesehen­en Brexit-Termin verlegen, was das neue Gesetz verhindern soll.

Welchen Effekt ein No-Deal-Brexit hätte, erörtert an diesem Morgen das Brexit-Komitee anhand der Situation in den Ärmelkanal­häfen und beim Eurotunnel, aber auch an der inneririsc­hen Grenze. Die Plätze der konservati­ven Abgeordnet­en sind leer. Wollen sie auf dem Weg zum bedingungs­losen Brexit schlechte Nachrichte­n nicht hören? Die Lebensmitt­el, die in Supermärkt­en verkauft werden, stammten „zu 80 Prozent vom Kontinent“, erläutert Andrew Opie vom Einzelhand­elsverband BRC und warnt vor Versorgung­sengpässen und Preiserhöh­ungen. Manches ändert sich eben nicht.

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Um seine Pläne für einen britischen Abschied aus der EU durchzuset­zen, brachte Boris Johnson am Mittwoch sogar rasche Neuwahlen ins Spiel.

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