Filigrane Gebilde, tanzend, taumelnd, fliegend
Die Figuren des jung verstorbenen Andreas Urteil bewegen sich – auf Papier und sogar in Bronze
Andreas Urteil wurde nicht alt, mit erst 30 Jahren starb der Bildhauer 1963. Mit einer Ausbildung als Steinmetz in der Tasche hatte er sich 1951 an der Akademie der bildenden Künste in Wien inskribiert. Das Handwerk beherrschte er aus dem Effeff, er wollte nun die Kunst erlernen. Was der 18-Jährige bisher von ihr kannte, erschöpfte sich in antiken Statuen. Dann kam er in die Klasse Fritz Wotrubas.
Wotruba drängte seinen Studenten nichts auf, aber seine Suche nach Formen griff allmählich auf Urteil über, worauf dieser viele frühere Werke zerstörte. Die menschlichen Körper, die ihn interessierten, wurden blockhafter und ihre einst glatte Haut brach auf. Manche dieser Figuren könnten genauso gut Bonsaibäume sein. Schlaksige Glieder mit riesigen Gelenken.
Figur auf einem Bein, Der Fechter oder die Flammende Venus heißen sie Ende der 50er-Jahre. Schmal sind alle diese Körper aus wogenden und kantigen Oberflächen, aus Mulden und Graten. Sie scheinen einem unbändigen Bewegungsdrang geschuldet, näher als an Wotruba sind sie an den italienischen Futuristen angelehnt: Synthese einer harmonischen Bewegung heißt eine Holzskulptur. Der Reiter sitzt sehr stabil auf seinem Ross, doch sein ganzer Körper ist mit Beulen überzogen, als hätte Urteil ihn mit klumpigen Wattebäuschen beklebt. Schulterblätter drücken sich aus den Tiefen durch die schwarze Bronzehaut.
Manche Skulpturen, die Knorpelfiguren, knetet Urteil direkt mit den Fingern. Es geht ihm um „plastische Ungewöhnlichkeiten“, die im Betrachter ihre Wirkung entfalten sollen.
Das taten sie schnell: Urteil stellte in der Secession und im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien aus, ebenso in Berlin und Brüssel, man sah Werke von ihm auch in New York. Ein Jahr vor seinem Tod erhielt er den Staatspreis für Bildhauerei. Werke von ihm sind in vielen Institutionen vertreten.
In nur wenigen Jahren schuf Urteil ein OEuvre, das in der Galerie Ulysses auch mit Zeichnungen präsent ist. Sie nehmen die bewegten Formen der kleinen und großen Skulpturen auf, sind aber keine Vorstudien. Verdrehte Flächen fügen sich auf diesen Blättern locker und lose zu filigranen Gebilden. Verdichten sich hier mit Schraffuren zu Schwarz, sind anderswo ganz zart. Eine Figur mit ausgebreiteten Armen hebt ohne Zweifel im nächsten Moment vom Papier ab.
Die Linien sitzen mit Tusche oder Kugelschreiber gezogen bombenfest, dafür wirken die Motive taumelnd, tanzend, schlendernd, schlenkernd, laufend, stolpernd und erweisen sich beim Hinschauen als viel variantenreicher als technisch klingende Titel wie Figur nach links erahnen lassen. (wurm) spezial Galerie Ulysses ist eine entgeltliche Einschaltung in Form einer Kooperation mit der Galerie Ulysses. Die redaktionelle Verantwortung liegt beim Standard.