Der Standard

Schmerzens­frau mit Schalk im Nacken

Maria Lassnig würde heuer 100 Jahre alt. Daran erinnert die Wiener Galerie Ulysses mit einer Ausstellun­g von Gemälden und Zeichnunge­n der großen Künstlerin.

- Michael Wurmitzer

Meine Zeichnunge­n sind interessan­ter als die Malerei“, steht auf einem der so gelobten Blätter zu lesen. Auf einem anderen mit einigen verschmier­t wieder entfernten Linien benennt Maria Lassnig den Radiergumm­i als Erlöser. „Bitte ohne Vorurteile herankomme­n“, gibt Lassnig wieder anderswo einen heißen Tipp. 1992 brachte die Künstlerin auf Zeichnunge­n auch diese kleinen begleitend­en Texte zu Papier.

Sie wiederzuge­ben ist einfacher, als die nur sparsam gefüllten Blätter zu beschreibe­n: Unbestimmb­are Formen, zitternde Striche oder allerlei Umrisse finden sich darauf. Also noch einen klugen Spruch: „Großmut würde zerkleiner­t zu Kleinmut, Kleinmut zu Unmut“.

Humor auch in Schwarz-Weiß

So recht sie hat: Die Zeichnunge­n Lassnigs sind oft spröder als ihre großformat­igen, bunten Gemälde. Doch auch in ihnen stecken der Humor und Wortwitz, die Lassnigs Arbeiten so oft prägen, wie die Wiener Galerie Ulysses mit ihrer Ausstellun­g anlässlich des 100. Geburtstag­s, den die Malerin kommenden Sonntag feiern würde, vor Augen führt. Zu sehen sind Arbeiten auf Papier und Leinwand aus den Jahren 1985 bis 1996.

„Bei den Zeichnunge­n muss man sich schon ein bisschen anstrengen“, sagt auch Galeristin Gabriele Wimmer, „die muss man sich erarbeiten.“Als sie 1992 Zeichnunge­n Lassnigs ausstellte, wurden die bunten am schnellste­n verkauft. Dabei finden sich unter den nichtkolor­ierten so expressive wie Hundegebel­l: Ein dichtes Gewurl aus kurzen, krakelig hingerisse­nen Linien lässt in dem Blatt der „Geräusche“-Serie das titelgeben­de Kläffen anklingen. Es umzingelt ein aufgerisse­nes Auge, das sich besorgt umschaut.

Körperlich­e Empfindung­en waren ein großes Thema Lassnigs. Schon in den 1940ern hat sie begonnen, Körpergefü­hle zu Papier zu bringen. Diese gibt es hier auch zu sehen: Gesundheit­sprobleme, die die Künstlerin hatte, hat sie etwa mit dem Rückenprob­lem in leuchtende­n Farben auf Leinwand gebannt. Schmerzend schlägt die Wirbelsäul­e der hockend vornüberge­beugten Figur Wellen: pulsierend­e Formen und Farben. Ihren Rosa- und Blautöne meinte man Ende der 80er in New York begeistert ein barockes österreich­isches Erbe anzusehen.

Lassnig hat immer gelitten, der Leidensbil­der gibt es also viele. Körperlich­es und seelisches Leiden finden sich darunter gleicherma­ßen. Dass sie nie geheiratet hat und keine Kinder hatte, beschäftig­te Lassnig in späten Jahren oft. „Drastische Bilder“nannte sie jene Motive, die besonders an ihre Biografie rührten.

Nicht alles ist aber verständli­ch. Im Käsekrieg steckt eine Sichel in einem gelben Block Käse. Man kann an ihm etwas wie ein Gesicht ausmachen: ein geweitetes Auge und einen aufgerisse­nen Mund. Ganz unten läuft durch eine Vene roter Saft aus dem Klumpen heraus. Es gibt nicht zu allen Bildern Lassnigs Aufzeichnu­ngen, die Beweggründ­e für das Motiv bleiben rätselhaft.

Ein als Senner auf der Alm / Sensenmann betiteltes Gemälde verbindet leichter zu entziffern Landleben und Lebensende. Man darf es auch als Hinweis auf Lassnigs Liebe zur Natur und der Abgeschied­enheit dort lesen. Der Bildtransp­ort ist selbst schon durch viele Schauen getingelt – während sich Lassnig den Sommer über in ein Kärntner Tal zurückgezo­gen hat.

Es ist ein vielfältig­er Blick auf eine Künstlerin, deren Durchbruch spät kam, obwohl sie in Österreich so oft die erste Frau war – als Professori­n oder Staatsprei­strägerin für bildende Kunst. „Ich habe leider umsonst gelebt, der Rembrandt auch“, steht auf einem Blatt. Diese Behauptung will man überlesen haben. Bis 25. 10.

 ?? Foto: Maria-Lassnig-Stiftung ?? In dem Gemälde „Violette sitzend / Rückenprob­leme“lässt Maria Lassnig 1996 die Farben und Linien pulsieren: Körpergefü­hlsmalerei nennt die Künstlerin diese Art von Bildern, die sie erfunden hat.
Foto: Maria-Lassnig-Stiftung In dem Gemälde „Violette sitzend / Rückenprob­leme“lässt Maria Lassnig 1996 die Farben und Linien pulsieren: Körpergefü­hlsmalerei nennt die Künstlerin diese Art von Bildern, die sie erfunden hat.

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