Schmerzensfrau mit Schalk im Nacken
Maria Lassnig würde heuer 100 Jahre alt. Daran erinnert die Wiener Galerie Ulysses mit einer Ausstellung von Gemälden und Zeichnungen der großen Künstlerin.
Meine Zeichnungen sind interessanter als die Malerei“, steht auf einem der so gelobten Blätter zu lesen. Auf einem anderen mit einigen verschmiert wieder entfernten Linien benennt Maria Lassnig den Radiergummi als Erlöser. „Bitte ohne Vorurteile herankommen“, gibt Lassnig wieder anderswo einen heißen Tipp. 1992 brachte die Künstlerin auf Zeichnungen auch diese kleinen begleitenden Texte zu Papier.
Sie wiederzugeben ist einfacher, als die nur sparsam gefüllten Blätter zu beschreiben: Unbestimmbare Formen, zitternde Striche oder allerlei Umrisse finden sich darauf. Also noch einen klugen Spruch: „Großmut würde zerkleinert zu Kleinmut, Kleinmut zu Unmut“.
Humor auch in Schwarz-Weiß
So recht sie hat: Die Zeichnungen Lassnigs sind oft spröder als ihre großformatigen, bunten Gemälde. Doch auch in ihnen stecken der Humor und Wortwitz, die Lassnigs Arbeiten so oft prägen, wie die Wiener Galerie Ulysses mit ihrer Ausstellung anlässlich des 100. Geburtstags, den die Malerin kommenden Sonntag feiern würde, vor Augen führt. Zu sehen sind Arbeiten auf Papier und Leinwand aus den Jahren 1985 bis 1996.
„Bei den Zeichnungen muss man sich schon ein bisschen anstrengen“, sagt auch Galeristin Gabriele Wimmer, „die muss man sich erarbeiten.“Als sie 1992 Zeichnungen Lassnigs ausstellte, wurden die bunten am schnellsten verkauft. Dabei finden sich unter den nichtkolorierten so expressive wie Hundegebell: Ein dichtes Gewurl aus kurzen, krakelig hingerissenen Linien lässt in dem Blatt der „Geräusche“-Serie das titelgebende Kläffen anklingen. Es umzingelt ein aufgerissenes Auge, das sich besorgt umschaut.
Körperliche Empfindungen waren ein großes Thema Lassnigs. Schon in den 1940ern hat sie begonnen, Körpergefühle zu Papier zu bringen. Diese gibt es hier auch zu sehen: Gesundheitsprobleme, die die Künstlerin hatte, hat sie etwa mit dem Rückenproblem in leuchtenden Farben auf Leinwand gebannt. Schmerzend schlägt die Wirbelsäule der hockend vornübergebeugten Figur Wellen: pulsierende Formen und Farben. Ihren Rosa- und Blautöne meinte man Ende der 80er in New York begeistert ein barockes österreichisches Erbe anzusehen.
Lassnig hat immer gelitten, der Leidensbilder gibt es also viele. Körperliches und seelisches Leiden finden sich darunter gleichermaßen. Dass sie nie geheiratet hat und keine Kinder hatte, beschäftigte Lassnig in späten Jahren oft. „Drastische Bilder“nannte sie jene Motive, die besonders an ihre Biografie rührten.
Nicht alles ist aber verständlich. Im Käsekrieg steckt eine Sichel in einem gelben Block Käse. Man kann an ihm etwas wie ein Gesicht ausmachen: ein geweitetes Auge und einen aufgerissenen Mund. Ganz unten läuft durch eine Vene roter Saft aus dem Klumpen heraus. Es gibt nicht zu allen Bildern Lassnigs Aufzeichnungen, die Beweggründe für das Motiv bleiben rätselhaft.
Ein als Senner auf der Alm / Sensenmann betiteltes Gemälde verbindet leichter zu entziffern Landleben und Lebensende. Man darf es auch als Hinweis auf Lassnigs Liebe zur Natur und der Abgeschiedenheit dort lesen. Der Bildtransport ist selbst schon durch viele Schauen getingelt – während sich Lassnig den Sommer über in ein Kärntner Tal zurückgezogen hat.
Es ist ein vielfältiger Blick auf eine Künstlerin, deren Durchbruch spät kam, obwohl sie in Österreich so oft die erste Frau war – als Professorin oder Staatspreisträgerin für bildende Kunst. „Ich habe leider umsonst gelebt, der Rembrandt auch“, steht auf einem Blatt. Diese Behauptung will man überlesen haben. Bis 25. 10.